von Dr. Jens Behnke:
Insgesamt ergibt sich hinsichtlich der bis dato publizierten maßgeblichen Meta-Analysen zur Homöopathie, dass in vier von fünf Fällen tendenziell eine spezifische Wirksamkeit potenzierter Arzneimittel über Placebo hinaus erkennbar ist. Das Gesamtergebnis fällt jeweils nur dann negativ aus (Homöopathie = Placebo), wenn der größte Teil ( 90–95 %) der vorliegenden Daten von der Auswertung ausgeschlossen wird und/oder fragwürdige statistische Methoden angewandt werden. Hierbei werden jeweils Maßnahmen ergriffen, die nicht den üblichen wissenschaftlichen Standards entsprechen.
Einleitung:
Das Konzept der Evidenzbasierten Medizin (EBM) sieht vor, dass die zuverlässigste Erkenntnis über die Wirksamkeit eines Therapieverfahrens über ein oder mehrere Meta-Analysen hochwertiger randomisierter, kontrollierter Studien gewonnen werden kann. Eine Therapie, für die innerhalb dieses Rahmens genügend positive Daten vorliegen, ist durch den höchsten Evidenzgrad Ia belegt (2). Sie erhält in Bezug auf die Frage, ob und in welchem Maße ein bestimmtes Verfahren in der therapeutischen Praxis Anwendung finden soll, die Empfehlungsstufe A bzw. eine „Soll-Empfehlung“ (26).
Da die Homöopathie Gegenstand unausgesetzter Kontroversen ist, berufen sich sowohl Befürworter als auch Gegner häufig auf Meta-Analysen der verfügbaren klinischen Studien, um ihre jeweilige Position konform mit den höchsten wissenschaftlichen Standards der EBM argumentativ zu stützen. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden versucht werden, einen Überblick über die wichtigsten Meta-Analysen der klinischen Forschung zur Homöopathie zu geben. Alle relevanten Arbeiten werden vorgestellt und einzeln diskutiert, um auf dieser Grundlage eine Gesamteinschätzung zum Stand der klinischen Forschung zur Homöopathie, insoweit er im Rahmen dieser Publikationen erfasst wird, abzugeben. Die relevante Fragestellung ist hierbei, ob die klinischen Effekte der Homöopathie Placeboeffekte sind, oder ob potenzierte Arzneimittel in der Lage sind, spezifische Wirkungen hervorzubringen.
Kleijnen, Knipschild und ter Riet (1991)
Dieser systematische Review (11) zur Homöopathie wurde 1991, also zu Beginn der Ära der EBM, publiziert. Die Autoren beginnen ihren Artikel mit dem Hinweis auf den Umstand, dass häufig behauptet werde, die Homöopathie sei erstens unplausibel und zweitens nicht mit modernen Methoden (kontrollierte Studien) erforscht. Kleijnen, Knipschild und ter Riet fanden 105 verwertbare Studien, die sie in ihre Analyse einbezogen. Davon untersuchten 14 die klassische Homöopathie mit individueller Arzneiwahl, 58 jeweils die Verordnung eines einzigen homöopathischen Arzneimittels nach klinischer Diagnose (bewährte Indikation), 26 befassten sich mit Kombinationsarzneimitteln und 16 mit Isopathie. Die Studien wurden in einem eigenen Verfahren hinsichtlich ihrer Qualität bewertet und mit Punkten versehen, wobei die Ergebnisse anhand der Punktvergabe unterschiedlich gewichtet in die Endanalyse eingingen. 81 Studien deuteten auf eine Effektivität der Homöopathie über Placeboeffekte hinaus hin, darunter auch die Mehrzahl derjenigen, die hinsichtlich Randomisation, Verblindung, Patientenzahl und ähnlicher methodologischer Kriterien als qualitativ hochwertig eingestuft wurden (15 von 22). Kleijnen, Knipschild und ter Riet (1991) bemängeln zwar insgesamt, dass viele Studien von eher geringer Qualität seien, stellen aber gleichzeitig fest, dass der Trend zugunsten der Homöopathie sowohl in denjenigen mit anspruchsvollem Design als auch in den methodisch eher schwachen zu finden sei. Die Autoren kommen zu folgendem Schluss: ”At the moment the evidence of clinical trials is positive but not sufficient to draw definitive conclusions because most trials are of low methodological quality and because of the unknown role of publication bias. This indicates that there is a legitimate case for further evaluation of homoeopathy, but only by means of well performed trials.“ (11)
Linde et al. (1997)
Unter der Fragestellung, ob die klinische Wirksamke it der Homöopathie ausschließlich durch Placeboeffekte erklärbar sei, führten Linde et al. (1997) (14) eine in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet publizierte Meta-Analyse aller placebokontrollierten randomisierten und/oder doppelblinden klinischen Studien zur Homöopathie durch. Von 119 gefundenen Studien enthielten 89 genügend Daten, um in die Meta-Analyse einbezogen zu werden. Diese Subgruppe bewerteten Linde et al. hinsichtlich ihrer methodischen Qualität mittelst eines eigenen Bewertungsverfahrens durch zwei voneinander unabhängige Gutachter, deren Ergebnisse miteinander verglichen wurden. Bei der Beurteilung wurde eine hohe Übereinstimmung erzielt (Interrater-Reliabilität: κ =0,76). Die durchschnittliche Qualität der analysierten Studien (n=89) im Hinblick auf Randomisation, Doppel-Verblindung, Handhabung von Studienabbrüchen u. ä. betrug 52 % des Maximalwerts auf einer allgemein anerkannten Skala zur Bewertung der Qualität klinischer Studien (Jadad-Score).
In die Analyse gingen 13 Arbeiten zur individualisierenden Einzelmittelhomöopathie (klassische Homöopathie) ein, 49 untersuchten die Verschreibung nach klinischer Diagnose, 20 befassten sich mit homöopathischen Komplexmitteln und 7 mit Isopathie. 22 % der eingeschlossenen Studien untersuchten mittlere Potenzen (nach Definition von Linde et al. D9 – D23 bzw. C5 – C11) und 37 % Hochpotenzen (über D23 bzw. C11, ebenfalls nach Linde et al.), wobei beide Stoffgruppen nach Angabe der Autoren theoretisch zu wenige Moleküle des Ausgangsstoffs enthielten, um irgendeine pharmakologische Aktivität zu entfalten (geschätzte Gesamtkonzentration pro Patient unter 10 -13 mol/l).
Für die 89 Studien, die in die Meta-Analyse eingingen, ergab sich eine signifikante Überlegenheit der Homöopathie gegenüber Placebo (durchschnittliche Odds Ratio 2,45; 95 % Konfidenzintervall 2,05 – 2,93). Für die 26 als methodisch hochwertig eingestuften Untersuchungen berechneten Linde et al. eine geringere, aber immer noch signifikante Wirksamkeit gegenüber Placebo (Odds Ratio 1,66; 95 % Konfidenzintervall 1,33 – 2,08). Dieses Ergebnis erwies sich darüber hinaus in verschiedenen Sensitivitätsanalysen als robust (z. B. nur die qualitativ besten Studien mit vordefinierten Zielparametern, die in der MEDLINE-Datenbank gelistet sind, n=5: Odds Ratio 1,97; 95 % Konfidenzintervall 1,04 – 3,75). Auch eine Korrektur der Resultate aufgrund von potentiellen Fehlern, die durch selektive Berichterstattung (Publication Bias) zustande gekommen sein könnten, brachte die positiven Effekte der Homöopathie nicht zum Verschwinden. Bezogen auf die Ausgangsfragestellung ihrer Meta-Analyse konstatieren die Forscher schlussendlich:
“The results of our meta-analysis are not compatible with the hypothesis that the clinical effects of homoeopathy are completely due to placebo. However, we found insufficient evidence from these studies that homoeopathy is clearly efficacious for any single clinical condition. Further research on homoeopathy is warranted provided it is rigorous and systematic.“
Die Kritik dieser Meta-Analyse richtete sich hauptsächlich auf die Qualität der eingeschlossenen Studien, die Linde et al. (1997) mittelst eines eigenen Systems bewertet und dementsprechend in die Endanalyse eingebracht hatten. Als Reaktion hierauf sichteten die Autoren das Material nochmals und bildeten Subgruppen in Abhängigkeit vom Jadad-Score, den die Studien erzielten, womit sie einen externen Bewertungsmaßstab einführten (15). Diese Re-Analyse ergab, dass die Überlegenheit der Homöopathie über Placebo teilweise abnahm, wenn Studien höherer Qualität in den Blick genommen wurden, ohne jedoch gänzlich zu verschwinden, und ohne dass diese Korrelation linear gewesen wäre: Die zehn Studien mit dem höchsten Jadad-Score von 5 zeigten einen größeren Effekt der homöopathischen Behandlung als die 19 Studien mit einem Jadad-Score von 3 und die 11 Studien, welche 4 Punkte erreichten. Insgesamt stellte sich heraus, dass Homöopathie in jeder der sechs auf Grundlage des Jadad-Score gebildeten Subgruppen der Placebobehandlung signifikant überlegen war, womit das Argument entkräftet wurde, der Effekt der homöopathischen Behandlung würde umso geringer, je hochwertiger das Studiendesign ist.
Cucherat et al. (2000)
Dieser systematische Review (3) wurde als Teil eines Berichtes für das Europäische Parlament durchgeführt. Die Autoren führten eine systematische Literaturrecherche durch und kontaktierten pharmazeutische Firmen, um randomisierte placebokontrollierte Studien zur Homöopathie zu finden. Es wurden nur Versuche berücksichtigt, in denen Potenzen über C3 verwendet wurden bzw. Präparate, die der Hersteller unter der Bezeichnung „homöopathisch“ führt. Fehlende Verblindung wurde nicht als Ausschlusskriterium gewertet. Berücksichtigt wurden nur Arbeiten, die ein klar definiertes Hauptzielkriterium aufwiesen. Für die Bewertung der Studienqualität wurden zwei Gutachter herangezogen, die im Falle unterschiedlicher Einschätzungen von einem dritten unterstützt wurden. Als statistische Methode für die Meta-Analyse wurde die Ermittlung des durchschnittlichen Signifikanzwertes (p-Wert) gewählt, weil die eingeschlossenen Studien hinsichtlich der behandelten Krankheitszustände, Verschreibungsmethoden und Zielkriterien sehr heterogen waren. Ein kombinierter p-Wert kleiner als 0,05 bedeutet in diesem Fall, dass die Nullhypothese falsch ist und die homöopathische Behandlung sich somit signifikant von Placebo unterscheidet.
Von den 118 gefundenen Studien gingen 16 in die Meta-Analyse ein, weil die übrigen nach Ansicht der Autoren entweder kein klar definiertes Hauptzielkriterium aufwiesen (92,9 %) und/oder methodisch defizitär waren. Eine dieser 16 Arbeiten enthielt insgesamt drei Versuchsgruppen (Standardbehandlung, Homöopathie und Placebo), sodass insgesamt 17 Vergleiche „Homöopathie vs. Kontrolle“ ausgewertet wurden. 11 dieser 17 Studienergebnisse (65 %) lieferten ein Ergebnis zugunsten der Homöopathie, drei deuteten unter dem Signifikanzniveau auf eine Überlegenheit des Placebos hin. Als Gesamtresultat der Analyse aller Studien, die den Ein- und Ausschlusskriterien ihrer Arbeit genügten, präsentierten Cucherat et al. somit einen hoch signifikanten durchschnittlichen p-Wert von 0,000036, welcher eine deutliche Wirksamkeit der Homöopathie über Placeboeffekte hinaus demonstriert. Die Autoren schließen eine Verzerrung dieses Ergebnisses durch Publication Bias aus, weil es nach ihren Berechnungen 155 fiktiver Studien mit negativem bzw. nicht signifikantem Ergebnis bedurft hätte, um den kombinierten p-Wert ihrer Meta-Analyse auf über 0,05 zu heben. Eine Subgruppenanalyse ergab allerdings, dass das Signifikanzniveau bei einer Auswertung nur derjenigen Studien, welche eine Abbrecherquote (Drop-Out) von weniger als 5 % aufweisen (n=5), nicht erreicht wird (p=0,082). Cucherat et al. konstatieren aufgrund dieser Feststellung:
”There is some evidence that homeopathic treatments are more effective than placebo; however, the strength of this evidence is low because of the low methodological quality of the trials. Studies of high methodological quality were more likely to be negative than the lower quality studies.“ (3)
Diese verhaltene Gesamteinschätzung beruht auf der Definition von „methodologischer Qualität“ (methodological quality), welche sich im vorliegenden Fall in erheblichem Ausmaß auf die Größe des Drop-Out stützt. Die Verwendung desselben als hauptsächlicher Kennzahl für die Studienqualität ist allerdings fragwürdig. Denn entscheidend für die Zuverlässigkeit des Ergebnisses einer Studie ist nicht primär die Anzahl an Patienten, die die Behandlung vorzeitig abbricht, sondern eher die Gesamtfallzahl, die korrekte Zufallsverteilung der Probanden auf die Versuchsgruppen, die Verblindung von Patienten und Prüfärzten etc. Aber auch hinsichtlich der Abbruchquote ist hauptsächlich die statistische Methode, die verwendet wird, um den hieraus resultierenden Datenverlust zu kompensieren, für die Studienqualität relevant (22). Hierfür existieren verschiedene Ansätze, von denen einige dazu geeignet sind, Drop-Out-Raten von deutlich über 5 % handhabbar zu machen (5). Die entsprechenden Verfahren sind in der Epidemiologie gängige Praxis, und das von Cucherat et al. gewählte Kriterium zur Bewertung der Studienqualität im Rahmen ihrer Meta-Analyse samt der hieraus abgeleiteten Einschränkung der Schlussfolgerung ihrer Meta-Analyse ist daher aus methodologischer Sicht sehr ungewöhnlich.
Shang et al. (2005)
Diese in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet publizierte Arbeit (23) hat wohl das meiste Medienecho von allen wissenschaftlichen Arbeiten zur Homöopathie ausgelöst. Die Redaktion des Lancet flankierte den Artikel mit einem Editorial, welches „Das Ende der Homöopathie“ (24) verkündete.
Shang et al. (2005) bezogen sich auf nahezu denselben Datenpool wie seinerzeit Linde et al. (1997), in die Endanalyse gingen jedoch bloß 8 von zunächst 110 untersuchten Arbeiten ein. Diese 8 Studien wurden als größte aus einem Pool von zunächst 21 ausgewählt, die eine hohe methodische Qualität aufwiesen. Die kombinierte Odds Ratio dieser Homöopathiestudien betrug 0.88 (95 % Konfidenzintervall 0,65-1,19). Zum Vergleich wählten die Autoren zunächst 110 Studien aus dem Bereich der konventionellen Medizin aus einer Cochrane-Datenbank aus, von denen 6 in die Endanalyse eingeflossene qualitativ hochwertige Studien eine kombinierte Odds Ratio von 0,58 (95 % Konfidenzintervall 0,39-0,85) aufwiesen. Shang et al. schlussfolgerten:
“Biases are present in placebo-controlled trials of both homoeopathy and conventional medicine. When account was taken for these biases in the analysis, there was weak evidence for a specific effect of homoeopathic remedies, but strong evidence for specific effects of conventional interventions. This finding is compatible with the notion that the clinical effects of homoeopathy are placebo effects.“ (23)
Diese Meta-Analyse wurde von verschiedenen Autoren mit kritischen Kommentaren bedacht, die mehrere signifikante Schwächen der Arbeit aufzeigten: Fisher (8) moniert die Intransparenz der Studienauswahl, insofern die Ursprungspublikation von Shang et al. (2005) keine Angaben darüber enthielt, welche 8 Studien letztendlich ausgewertet wurden. Dieser Umstand stelle eine eklatante Abweichung von den wissenschaftlichen Standards für Meta-Analysen dar, wie sie in der QUORUM-Richtlinie niedergelegt sind (18). Diese Richtlinie fordert u. a., dass alle für eine Arbeit in den Blick genommenen Studien, sowohl die letztendlich ausgewerteten als auch die von der Endanalyse ausgeschlossenen, nebst den Kriterien dieses Selektionsprozesses detailliert dargestellt werden, damit die Ergebnisse einer Meta-Analyse sowie der Weg, auf dem man zu ihnen gelangt, nachvollziehbar sind. Obwohl sich dieses Vorgehen für jede wissenschaftliche Veröffentlichung von selbst versteht, ist laut Fisher (2006) ein akribisches Einhalten dieser Standards insbesondere von Arbeiten, die weitreichende, definitive Schlussfolgerungen enthalten, wie dies bei Shang et al. (2005) der Fall ist, zu fordern.
Des Weiteren zweifelt Fisher die Passgenauigkeit der 110 Studien zur konventionellen Medizin gegenüber denjenigen zur Homöopathie an. Letztere sind im Durchschnitt von deutlich höherer Qualität gewesen, wodurch die Wahrscheinlichkeit eines positiven Ergebnisses abnehme. Außerdem hätten Shang et al. es versäumt, Sensitivitätsanalysen vorzunehmen, aufgrund derer man hätte ersehen können, inwieweit das negative Ergebnis von der Studienauswahl abhängt (8). Eine ähnliche Auffassung vertreten Rutten und Stolper (2008):
“Re-analysis of Shang’s post-publication data did n ot support the conclusion that homeopathy is a placebo effect. The conclusion that homeopathy is a nd that conventional is not a placebo effect was not based on comparative analysis and not justified because of heterogeneity and lack of sensitivity analysis.“ (21)
Eine solche ausführliche Sensitivitätsanalyse lieferten daher Lüdtke und Rutten (2008), nachdem bekannt geworden war, welche 8 Studien zu dem präsentierten Resultat geführt hatten. Es stellte sich heraus, dass die Auswertung der 21 qualitativ hochwertigen Studien aus dem Pool von Shang et al. (2005) eine signifikante Überlegenheit der Homöopathie gegenüber Placebo demonstriert. Das negative Ergebnis, das die Autoren schlussendlich präsentieren, hängt maßgeblich von einer einzigen großen Studie ab, die die Wirksamkeit eines homöopathischen Mittels zur Prävention von Muskelkater untersucht (25).
Ein weiterer Schwachpunkt der Meta-Analyse von Shan g et al. ist die Heterogenität der sehr wenigen ausgewählten Studien im Zusammenhang mit der globalen Aussage, die aus ihnen abgeleitet wird. Die Autoren haben Untersuchungen zur Wirksamkeit potenzierter Arzneimittel bei der Vorbeugung von Erkältungen, der Behandlung von Warzen, zur Prävention von Muskelkater und zur Therapie von Migräne, Durchfallerkrankungen bei Kindern sowie schweren Hirnverletzungen in nur jeweils einer Studie gemeinsam ausgewertet. Dies ist ein Verfahren, bei dem man die Möglichkeit in Betracht ziehen sollte, dass Homöopathie ein für bestimmte Indikationen wirksames Therapieverfahren darstellt, für andere hingegen nicht. Würde man in der konventionellen Medizin 3 eindeutig negative Studien zur Behandlung von Krebs, Weichteilverletzungen und Rheuma mit bestimmten Arzneimitteln mit einer schwach positiven zur Behandlung von Kopfschmerzen durch Aspirin im Rahmen einer Meta-Analyse kombinieren, wäre deren negatives Ergebnis tendenziell nicht dazu geeignet, auf die generelle Nicht-Wirksamkeit aller konventionellen pharmakologischen Interventionen zu schließen.
Vielen der dargestellten Kritikpunkte schlossen sich auch Linde, der Autor der ersten großen Meta-Analyse zur Homöopathie, die ebenfalls im Lancet publiziert worden war, sowie weitere Experten auf dem Gebiet der Forschung zur Komplementärmedizin an (12, 1). Insgesamt muss festgestellt werden, dass die Arbeit von Shang und Kollegen deutliche methodische Schwächen aufweist, und dass ihre Schlussfolgerung auf einer relativ kleinen Anzahl von Studien basiert, die nach fragwürdigen Gesichtspunkten ausgewählt worden sind.
Mathie et al. (2014)
Die neuste Meta-Analyse zur Homöopathie stammt von Mathie und Kollegen aus dem Jahr 2014. Eingeschlossen wurden in diese Arbeit ausschließlich Studien, deren Therapiemodus sich als „individualisierte Homöopathie“ klassifizieren ließ. Hintergrund dieses Vorgehens ist, dass die Autoren von der Annahme ausgehen, dass die Verschreibung potenzierter Arzneimittel nicht zwangsläufig als hinreichendes Kriterium dafür gedeutet werden könne, es mit einem einzigen kohärenten Behandlungsverfahren zu tun zu haben. Klinische Homöopathie, Komplexmittelhomöopathie, Isopathie u. ä. unterschieden sich zumindest insofern vom individualisierten Ansatz der klassischen Homöopathie, als dass letztere regelmäßig deutlich längere Anamnesezeiten involviere. Dieser Umstand könne einen gewichtigen Unterschied zu den übrigen Verschreibungsformen begründen.
Mathie et al. begeben sich somit einen ersten Schritt weg vom Konzept der globalen Meta-Analyse, welche versucht, die Frage zu beantworten, ob jedwedes Verfahren, das sich unter den Oberbegriff Homöopathie subsumieren lässt, wirksam ist. Dieses Vorgehen ermöglicht einen differenzierteren Blick auf einen Teil der vorhandenen Daten als manche Vorgängerarbeiten, wenn auch bereits Linde et al. (1997) Subgruppenanalysen vorgenommen haben, die sich auf unterschiedliche Verschreibungsmodi potenzierter Arzneimittel beziehen.
Doch nicht nur die Beschränkung auf 32 Studien, welche individualisierte Homöopathie untersuchen, kennzeichnet die Meta-Analyse von Mathie et al. Auch das Qualitäts-Assessment der einzelnen Arbeiten mittelst Bewertung des Verzerrungsrisikos durch ein Werkzeug der Cochrane Collaboration (10) stellt ein Novum dar. Deren methodische Vorgaben repräsentieren den State of the Art der EBM, vor allem im Hinblick auf systematische Reviews und Meta-Analysen, sodass Mathie et al. sich mit ihrem Vorgehen methodologisch auf der Höhe der Zeit befinden.
Von den 32 eingeschlossenen Arbeiten boten 22 genügend Daten, um in die Endanalyse aufgenommen zu werden. Diese Studien lieferten ein signifikant positives Ergebnis für die Homöopathie (OR 1,53; Konfidenzintervall 95 % 1,22 – 1,91). Die Bewertung des vorgefundenen Studienmaterials in Bezug auf die sieben Aspekte (Domänen) der methodologischen Qualität (Verblindung, Randomisation, selektive Berichterstattung etc.) entsprechend den Cochrane-Kriterien allerdings führte bei Mathie et al. (2014) dazu, dass lediglich drei Arbeiten als zuverlässig eingestuft wurden. Die kombinierte Odds Ratio dieser Publikationen lag mit 1,98 (95 % Konfidenzintervall 1,16 – 3,38) zwar höher als der Durchschnitt, jedoch ist die Datenbasis durch den Ausschluss eines Großteils des vorgefundenen Materials so schmal, dass die Autoren konstatieren:
„Though our conclusions can be made most securely from three trials with reliable evidence, this sub-set of studies is too small to enable a decisive answer to our tested hypothesis.“ (17)
Die Hauptresultate der Meta-Analyse von Mathie et al. decken sich nach deren Einschätzung mit denjenigen vergleichbarer Vorgängerarbeiten: Es sind (kleine) spezifische Effekte der homöopathischen Behandlung erkennbar. Diese sind robust, insofern Sensitivitätsanalysen für verschiedene Subgruppen der analysierten Studien ähnliche Effektstärken erkennen lassen. Die Qualität der vorgefundenen Evidenz wird insgesamt als niedrig oder unklar eingestuft, sodass keine abschließenden Aussagen möglich seien. In der Konsequenz werden mehr qualitativ hochwertige RCTs zur individualisierten Homöopathie gefordert, um zuverlässige Aussagen treffen zu können (17).
Fazit der Meta-Analysen
Insgesamt ergibt sich hinsichtlich der bis dato publizierten maßgeblichen Meta-Analysen zur Homöopathie, dass in vier von fünf Fällen tendenziell eine spezifische Wirksamkeit potenzierter Arzneimittel über Placebo hinaus erkennbar ist. Das Gesamtergebnis fällt jeweils nur dann negativ aus (Homöopathie = Placebo), wenn der größte Teil ( 90–95 %) (9) der vorliegenden Daten von der Auswertung ausgeschlossen wird und/oder fragwürdige statistische Methoden angewandt werden. Hierbei werden jeweils Maßnahmen ergriffen, die nicht den üblichen wissenschaftlichen Standards entsprechen, insofern die intendierte Steigerung der Erkenntnissicherheit durch das Ausschließen von Studien mit bestimmten Merkmalen nicht in angemessenem Verhältnis zur in Kauf genommenen Schmälerung der Datenbasis steht (beispielsweise Drop-Out-Rate < 10 %=9 Studien vs. Drop-Out-Rate < 5 %=5 Studien; s. o.) (3).
Eine Ausnahme bildet hierbei die neuste Arbeit von Mathie et al. (2014): Sie stuft ebenfalls einen Großteil der vorgefundenen Daten als (relativ) unzuverlässig ein. Die Autoren beziehen sich hierbei jedoch auf anerkannte Standardprozeduren, und ihre Arbeit weist ein für die Homöopathie positives Ergebnis auf. Die einzige Arbeit, welche zu dem Endresultat gelangt, die klinischen Effekte der Homöopathie seien restlos durch Placebowirkungen erklärbar (23), weist aus methodologischer Sicht erhebliche Mängel auf.
In der Homöopathieforschung scheint die Bewertung von Daten aufgrund der (In-)Kompatibilität mit bestimmten theoretischen Vorannahmen eine wichtige Rolle zu spielen. Dieses Phänomen wird wissenschaftstheoretisch unter dem Begriff der Plausibilitäts-Verzerrung (Plausibility-Bias) diskutiert (20). Hahn (2013) etwa analysiert die Ein- und Ausschlusskriterien für Studien im Rahmen von Meta-Analysen zur Homöopathie mit einer negativen oder indifferenten Tendenz und zeigt u. a. anhand statistischer Überlegungen auf, dass sie wahrscheinlich nachträglich formuliert wurden. Er vermutet, dass dieses methodische Vorgehen ideologisch motiviert ist, was dem wissenschaftlichen Anspruch der EBM diametral entgegengesetzt wäre (9).
Die Autoren der in den Blick genommenen Publikationen stimmen allerdings mehr oder weniger darin überein, dass die Evidenzlage keine definitiven Schlussfolgerungen hinsichtlich der Wirksamkeit potenzierter Arzneimittel bei einzelnen Erkrankungen zulässt. Denn es mangelt an unabhängigen Replikationen hochwertiger randomisierter, placebokontrollierter Doppelblindstudien zu ein und derselben Indikation.
Diese Feststellung weist in Verbindung mit weiteren Überlegungen möglicherweise einen Weg für die Zukunft der Homöopathieforschung: Aus dieser Perspektive sinnvoll wäre die Evaluation des vorhandenen Datenmaterials unter Gesichtspunkten der Modellvalidität sowie die hieraus sich ergebende Planung neuer, aufeinander abgestimmter Studien. Der Weg hierzu könnte über Meta-Analysen führen, die differenzierter als bisher einzelne Verschreibungsmodi und/oder vor allem Indikationen für die homöopathische Behandlung in den Blick nehmen. Neue Erkenntnisse könnten außerdem Übersichtsarbeiten bieten, die bislang unberücksichtigtes Material, beispielsweise auch Beobachtungsstudien, mit einbeziehen und auf dieser Grundlage ein umfassenderes Bild der Evidenzlage zur Homöopathie böten.
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Foto: Jens Behnke