Wahlinterview
Am 24. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Wie schon zu den Wahlen 2009 und 2013 möchte der DZVhÄ wissen, wie die im Bundestag vertretenen Parteien zur Homöopathie bzw. zur Integrativen Medizin stehen. Ein Interview mit Kordula Schulz-Asche für die Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen.
Ab dem 1. August werden in der Schweiz die Anthroposophische Medizin, klassische Homöopathie, Traditionelle Chinesische Medizin und Phytotherapie von der Krankenversicherung übernommen. Ist das aus Ihrer Sicht auch ein Modell für Deutschland?
Nein – Die Kostenübernahme der Behandlungen bei Ärzten funktioniert schon heute bei der Mehrheit der gesetzlichen Krankenkassen auf freiwilliger Basis auf Grundlage von Satzungsleistungen. Ich halte dies auch zukünftig für das geeignetere Modell in allen Fällen, in denen eine Wirksamkeit nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Von vielen Naturheilmitteln, wie Kamillentee oder Franzbranntwein, wissen wir ja auch, dass sie helfen. Aber Sie werden hier und in ähnlichen Fällen wenige Unternehmen finden, die hierzu klinische Studien finanzieren könnten. Die gesetzlichen Krankenkassen sollten daher auch weiterhin selbst entscheiden, welche Therapien sie für ihre Versicherten übernehmen und welche nicht.
Eine aktuelle Forsa Umfrage zur Homöopathie im Auftrag des BPI zeigt, dass rund die Hälfte der Befragten bereits Erfahrung mit homöopathischen Arzneien hat. Über 70 Prozent von ihnen sind zufrieden oder sehr zufrieden mit deren Wirksamkeit und Verträglichkeit. Wie erklären Sie sich den teils starken Gegenwind in Medien, den die Homöopathie erlebt?
Es gibt viele Menschen, die die Erfahrung gemacht haben, dass ihnen die Komplementärmedizin oder Heilpraktiker helfen. Ich kenne viele Leute, die gute Erfahrungen damit machen und auch ich gehöre bei manchen Beschwerden dazu. Bei Homöopathie wissen wir nicht, wie sie wirkt. Bei bestimmten Erkrankungen hilft das Gespräch mit dem Therapeuten vielleicht mehr als das Medikament – vielleicht gibt es bei der Homöopathie einen Placebo-Effekt. Es werden aber derzeit Vergleichsstudien durchgeführt, die unter Umständen neue Erkenntnisse bringen. Wichtig und unerlässlich ist dabei aber grundsätzlich eine sachliche Aufklärung, um Schaden von Patientinnen und Patienten abzuwehren. Dazu gehört auch, dass Homöopathen darüber aufklären, in welchen Fällen ihre Therapie nicht ausreichend ist. Es gibt sicher leichte Erkrankungen, die mit Homöopathie aus Erfahrungswissen behandelt werden können. Bei schweren Erkrankungen sollten Patientinnen und Patienten ohnehin immer mehrere Experten konsultieren. Ich denke wir tun als Gesellschaft gut daran, wenn wir diesen medizinischen Pluralismus weiterführen. Nicht alle Beeinträchtigungen muss man mit Chemie angehen. Das sollten auch diejenigen akzeptieren können, die sich für die Schulmedizin stark machen, die auch nicht ganz ohne Probleme ist.
Welchen Stellenwert hat der medizinische Pluralismus für Sie?
So unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich können auch die Methoden sein, die gegen eine Erkrankung helfen. Der ganzheitliche Blick auf einen Patienten – auf sein soziales Umfeld, auf seine individuellen Besonderheiten, auf seine Stärken und Schwächen, auf seine Bedürfnisse, ist Voraussetzung für Heilungsprozesse. Der behandelnde Arzt und Patient sollten immer das geeignete Therapiekonzept zusammen erstellen.
Nur etwa 20 Prozent der Leistungen in einer konventionellen Arztpraxis, so eine Schätzung, entsprechen der Evidence based Medicine (EbM). Warum werden Ihrer Meinung nach aber EbM-Regeln als Maßstab für die Komplementärmedizin herangezogen?
Die Hauptkritik ist natürlich der in der Regel nicht erbrachte Nutzennachweis. Diesen Nachweis zu erbringen ist aufwendig und teuer, dies gilt in der gesamten Komplementärmedizin und bei allen nicht durch patentgeschützten Wirkstoffen. Das ist ein Grundproblem. Allerdings halte ich es für wünschenswert, dass auch in der Komplementärmedizin zunehmend Wirkungsstudien durchgeführt werden.
Vor diesem Hintergrund denke ich, dass sich Homöopathen gut daran tun, sich an Sachlichkeit zu orientieren. Wenn es Hinweise gibt, dass ein Mittel die Gewichtsabnahme unterstützen kann, kann man das auch so bewerben. Ein Mittel aber als Heilbringer hoch zu loben, obwohl der Nachweis einer Wirkung nie erbracht wurde – davon muss abgesehen werden. Das ist ein ehrlicher Umgang des Verbraucherschutzes mit den Patienten und sollte auch Kritiker zufriedenstellen.
Die Schweizer Regierung erkennt an, dass die oben genannten Methoden die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich Wirksamkeit, Gewährleistung hoher Qualität und Sicherheit erfüllen. Wird in Deutschland Forschung anders bewertet?
Ich denke, dass Arzneimittel, gemessen an dem Nutzen für die Patienten, honoriert und dann gegebenenfalls von der Versichertengemeinschaft bezahlt werden sollten. Vom Grundsatz her bin ich also zufrieden mit der deutschen Vorgehensweise. Ein nachgewiesener Nutzen erfordert natürlich zunächst entsprechende Studien. Das stellt bei Naturheilmitteln wie gesagt immer eine Herausforderung dar, aber von der Erfordernis von Studien würde ich deshalb trotzdem nicht abrücken wollen. Ich denke, wir haben einen guten Weg gefunden, dass Kassen auf freiwilliger Basis auf Grundlage von Satzungsleistungen die Kosten übernehmen dürfen, wenn sie einen Mehrwert für ihre Versicherten darin sehen.
Der SPD Landesverband-Bremen möchte den Krankenkassen verbieten, Leistungen der Homöopathie als Satzungsleistungen zu erstatten. Wie stehen Sie dazu?
Davon halte ich nichts. Durch die Registrierungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, durch die verpflichtende Kennzeichnung als „Homöopathika“ gemäß §10 des Arzneimittelgesetzes und durch die Apothekenpflicht verfügen wir über ausreichende und sinnvolle Maßnahmen, um eine unsachgemäße Anwendung von Homöopathika zu verhindern. Wenn also eine Krankenkasse es für sinnvoll erachtet, ihren Versicherten Homöopathika zur Verfügung zu stellen, dann soll sie das auch tun dürfen. Es gibt keinen Grund, den Zugang zu Homöopathie und anderen Arten der Komplementärmedizin zu verwehren. Und wie schon gesagt: Nicht jede Beeinträchtigung ist mit Chemie oder einer Operation anzugehen – manchmal reicht gute Diagnostik, ein Gespräch oder eben komplementärmedizinische Methoden. Zudem frage ich mich, ob es bei dem SPD-Vorstoß wirklich um Kosten für die Kassen oder doch um den alten Grabenkampf geht: Laut Techniker Krankenkasse machten die Ausgaben für Homöopathie 2016 deutlich weniger als ein Promille ihrer Gesamtausgaben aus. Und ungefähr 98% des Gesamtumsatzes an homöopathischen Arzneimitteln werden von den Versicherten aus eigener Tasche finanziert.
Foto: Stefan Kaminski