Dr. Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, sah in den Symptomen einer Krankheit nicht die Krankheit selbst, sondern nur ihren äußeren oder den sicht- und messbaren Ausdruck. Für ihn lag allen Krankheiten eine mehr oder weniger tief greifende Störung der Lebenskraft zugrunde. Diese Störung der inneren Ordnung und Harmonie ist die Voraussetzung dafür, dass beispielsweise Viren oder Bakterien unseren Organismus krank machen können. Auch eine individuell besondere Empfänglichkeit für psychische Kränkungen führt beim einen zur Krankheit, während ein anderer eine ähnliche Kränkung problemlos bewältigt.
Wir erkennen als Homöopathen in den Symptomen einer Krankheit bereits den Versuch der Lebenskraft, die gestörte Ordnung selbst wieder ins Lot zu bringen; die Erscheinungen des Krankseins sind also bereits der Ausdruck eines Selbsthilfeversuches des Organismus in Richtung Gesundheit. Das Muster der individuellen Symptome weist uns dabei den Weg zu demjenigen homöopathischen Mittel, das in der Lage ist, den Selbsthilfeversuch des Körpers sinngemäß und zielgerichtet zu unterstützen und so zur Heilung zu führen.
Erst der objektive Befund und das subjektive Befinden zusammen betrachtet lassen die Krankheit in ihrem vollen Umfang sichtbar werden.
Störung der Lebenskraft
Die Störung der Lebenskraft macht sich im Krankheitsfalle im Befinden des ganzen Menschen bemerkbar, auch wenn die schulmedizinische Diagnose nur einen bestimmten Organbereich oder Funktionskreis als krank erkennt. Es ist die Aufgabe des homöopathischen Arztes oder der homöopathischen Ärztin, sich im Anamnesegespräch – der Fallaufnahme – einen Überblick über die Symptome der aktuellen Krankheit zu verschaffen, aber auch über die individuellen Begleitphänomene des einzelnen Menschen in seiner Krankheit. Zum Beispiel ob er dabei stark friert, oder übelriechenden Schweiß absondert, ob sein Schlaf gleichzeitig in besonderer Weise gestört ist oder ob er sich auffällig benimmt oder deprimiert oder reizbar fühlt.
Der Arzt muss also sowohl das in der konventionellen Medizin bekannte Krankheitsbild erkennen und die eventuell erforderliche weitere Diagnostik einleiten, als auch den damit verbundenen seelischen und geistigen Zustand des Kranken wahrnehmen. Außerdem muss er in seine Überlegungen die Frage einbeziehen, warum dieser Mensch gerade zu diesem Zeitpunkt seines Lebens krank wurde, ob es also eine plausible und zeitnahe Ursache oder Auslösung für sein Krankwerden gibt. Hinzu kommen Beobachtungen und Informationen zur gesundheitlichen Gesamtentwicklung dieses Menschen und zu seinen besonderen Anfälligkeiten, zu seiner Konstitution.
Ärztliche Homöopathie nutzt auch die Methoden der konventionellen Medizin
Hahnemann selbst hat genau dargelegt, wie detailliert und sorgfältig jede Untersuchung und Befragung des Patienten erfolgen soll. Er hat darauf hingewiesen, mit allen Sinnen die phänomenologischen Äußerungen der Lebenskraft wahr- und ernstzunehmen. Mehr als 200 Jahre nach Hahnemann stehen uns differenzierte Methoden und technische Hilfsmittel zur Verfügung, um auch die mit bloßem Auge zunächst nicht sichtbaren Zeichen der gestörten Lebenskraft sichtbar und auch messbar zu machen.
Ärztliche Homöopathie hat für den Patienten den entscheidenden Vorteil, dass die homöopathische Ärztin oder der homöopathische Arzt „auf zwei Beinen steht”, also das Wissen der konventionellen Medizin mit der Kenntnis und Erfahrung im Bereich der Homöopathie verbindet. Dabei wird es das wichtigste Ziel sein, beide Wege so individuell wie möglich zu berücksichtigen, um die Patientinnen und Patienten ein Höchstmaß an Therapie-Sicherheit zu bieten.
Körperliche Untersuchung und weiterführende konventionelle Diagnostik sollen Antworten geben auf die folgenden Fragen:
- Um welche Krankheit handelt es sich?
- Was ist das Wesen dieser Krankheit, welche typischen Ursachen kennen wir?
- Welchen Spontanverlauf hat sie, etwa ohne wirksame Behandlung?
- Welche Komplikationen sind bekannt und müssen im Verlauf berücksichtigt werden?
- Welche Behandlungsmöglichkeiten bietet die konventionelle Medizin für diese Krankheit?
- Mit welchen Nebenwirkungen konventioneller Behandlung müsste gerechnet werden?
Foto: Christoph Schnegg