„Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung“, heißt es in der Richtlinie 8.7 des Pressekodex des Deutschen Presserats. Für Journalisten gilt er als verbindliche ethische Richtschnur für die Berichterstattung, Verstöße gegen den Pressekodex können vom Presserat gerügt werden – öffentlich und medienwirksam.Dass sich sogenannte Skeptiker keineswegs an solchen ethischen Standards orientieren, zeigt die Medienresonanz auf die Selbsttötung des Journalisten Claus Fritzsche.

Fritzsche lieferte sich als Journalist starke Wortgefechte mit Kritikern der komplementären Medizin und betreute von 2011 bis Ende 2012 das Homöopathie-Blog des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ). Er starb am 14. Januar 2014 mit 49 Jahren. Auf zahlreichen Websites der sogenannten Skeptiker erschienen Kommentare, die man nur als mediales Nachtreten charakterisieren kann:

„Wenn man die Entwicklung seiner Pamphlete in den letzten Jahren verfolgt hat, drängt sich sehr der Verdacht auf, dass C. Fritzsche an einer Störung aus dem paranoiden Formenkreis gelitten haben dürfte. Möglicherweise liegt hierin der Grund für seinen Suizid“, kann man auf scienceblogs.de nachlesen, „auch wenn es heißt ‘de mortuis nihil nisi bene‘ – ich bin froh, dass er weg ist.“ Allein auf dieser Website befassten sich 128 Kommentare in dieser oder ähnlicher Form mit Fritzsches Selbsttötung.

Presserat: Online-Kommentare sind wie Leserbriefe zu behandeln

Laut Presserat tragen Journalisten auch eine Verantwortung für Online-Kommentare, die zu ihren Artikeln freigeschaltet werden. Sie werden wie Leserbriefe angesehen, für deren Veröffentlichung ebenfalls der Pressekodex gilt (Pressekodex Richtlinie 2.6). Trotzdem schalteten Journalisten der Website ruhrbarone.de, die auch ein eigenes Printmagazin vertreiben, Kommentare wie diesen frei: „Noch ganz erschüttert, mal ganz neugierig gefragt. Er hat das aber nicht mit Globuli gemacht?“ Auch Fritzsches Familie blieb nicht verschont. „Sein Vater, ein offensichtliches Arschloch und Altnazi, hatte den Jungen schon im Alter von zwölf Jahren ruiniert. Das ist ein scheiß Leben, dachte ich dann etwas später über Claus. Das ist jetzt zu Ende gegangen, unschön“, kann man dort unter einem Artikel lesen, den der Journalist und GWUP-Mitglied Sebastian Bartoschek (BILD, Der Skeptiker) geschrieben hat. Kommentare werden auf ruhrbarone.de entweder vom Redaktionsleiter Stefan Laurin (u.a. Welt am Sonntag, Cicero Online) oder dem jeweiligen Autoren freigegeben. Der DZVhÄ hat Beschwerde beim Presserat gegen diese Art von Berichterstattung eingelegt.

Ruhrbarone: „Wir sehen durch keinen der Kommentare die Menschenwürde von Herrn Fritzsche beeinträchtigt“

Der DZVhÄ schätzt seine Kritiker und ist harten Debatten zur Homöopathie nicht abgeneigt. Sachlichkeit und Respekt trotz kontroverser Sichtweisen gehören für homöopathische Ärzte jedoch dazu. Viele Kommentare zu Fritzsches Selbsttötung sprechen dagegen eine ganz andere Sprache: Sie offenbaren eine neue Qualität von Feindseligkeit.

Entsprechend fällt auch die Stellungnahme von Stefan Laurin und Sebastian Bartoschek aus, zu der sie vom Presserat am 22. April aufgefordert wurden: „Wir haben Probleme mit der Seriosität des Antragstellers“, so Laurin und Bartoschek, „Homöopathie ist in seiner Wirkung nicht belegbarer Unsinn, mithin Scharlatanerie. […] Homöopathische Ärzte sind ein Widerspruch in sich. Das ist lächerlich.“ Was hat das mit der Frage einer ethischen Berichterstattung zu tun?

Darüber hinaus stellen die Ruhrbarone darauf ab, dass sie „keine Zuständigkeit des Presserats für ruhrbarone.de erkennen können“. Sollten sie nicht dem Presserat überlassen, wofür er zuständig ist? Die Journalisten sehen in den Kommentaren keine Beeinträchtigung der Menschenwürde. Bleibt abzuwarten, wie der Presserat den Fall beurteilen wird. „Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen, die Veröffentlichung von Fotos und die Schilderung näherer Begleitumstände“, heißt es im Pressekodex. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt für Lebende wie für Tote. Auch für Claus Fritzsche.

 

Bildquelle: ©Ruhrbarone, ©Deutscher Presserat