Prof. Jürgen Windeler sprach sich Mitte Mai in Berlin bei einer Veranstaltung der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), deren Mitglied er ist, gegen die von ihm als „Artenschutz“ bezeichnete Nennung der Besonderen Therapierichtungen im SGB V aus. Das ist ein erstaunlicher Vorgang, weil Windeler hier als Leiter eines deutschen Instituts, das den deutschen Behörden untersteht, wichtige Aussagen des deutschen Gesetzgebers anzweifelt. Dieser hatte im SGB V und im AMG in vielen Novellen und nach langen Debatten die Besonderen Therapierichtungen als bedeutsam herausgestellt. IQWiG-Chef Windeler beruft sich auf „wissenschaftliche und medizinische“ Gründe. Seine Aussage ist jedoch eine Meinungsäußerung, die eine bestimmte Perspektive – nicht jedoch den Stand der Wissenschaft – repräsentiert. Windeler beruft sich auf den Patientennutzen. Dieser lässt sich jedoch nur durch komplexe Forschungsstrategien nachweisen, nicht alleine durch randomisierte Studien. Der DZVhÄ befragte Parteien und Verbänden zu den Aussagen des IQWiG-Chefs.
Meinungsäußerung, die den Stand der Wissenschaft weder repräsentiert noch korrekt und neutral wiedergibt
„Die Sonderstellung der ‚Besonderen Therapierichtungen ist wissenschaftlich oder medizinisch nicht gerechtfertigt“, und „Pluralität im Sinne gleichwertiger anderer Methoden braucht es nicht, gibt es nicht und ist auch nicht zu erwarten.“ Laut Windeler müssen die besonderen Therapierichtungen nicht weiter erforscht werden, sein Fazit: „Lasst uns darüber lachen, lasst es uns ignorieren und lasst es uns nicht untersuchen.“ (Der DZVhÄ berichtete in den Homöopathische Nachrichten Mai 2012) und in seinem Blog.)
Aus Sicht des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) sind dies Besorgnis erregende Aussagen, da das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ein „fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut“ sein soll und seine Aufgabe die Bewertung des medizinischen Nutzens, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit medizinischer Leistungen ist. Das Institut erhält seine Aufträge vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und vom Bundesgesundheitsministerium.
Studien deuten auf Patientennutzen hin
Doch wie seriös, fachlich fundiert und neutral sind die Aussagen von IQWiG-Chef Jürgen Windeler zur anthroposophischen Medizin, zur Akupunktur oder zur Homöopathie? Windeler beruft sich auf den Patientennutzen, ignoriert jedoch den Sachverhalt, dass sich dieser nur im Rahmen von komplexen Forschungsstrategien ermitteln lässt, nicht alleine durch randomisierte Studien. Systematischer Reviews auf der Basis methodisch hochwertiger kontrollierter, randomisierter Studien (RCTs) erlauben Aussagen zur spezifischen Wirksamkeit einer Therapie, nicht jedoch zum Patientennutzen unter Alltagsbedingungen. Dieser lässt sich nur durch komplexe Forschungsstrategien ermitteln, wie sie in der Versorgungsforschung zum Einsatz kommen. Gerade hier zeigen die Besonderen Therapierichtungen jedoch in verschiedenen Forschungsvorhaben positive Ergebnisse, die mit jenen konventioneller Therapien mindestens vergleichbar sind und die deutlich auf weiteren Forschungsbedarf hindeuten.
Beispiel „Akupunktur“
Im Abschlussbericht „Akupunktur“ des Gemeinsamen Bundesausschusses heißt es beispielsweise: „Die GERAC-Studie zeigte keinen Unterschied zwischen Sham- und TCM-Akupunktur, aber eine signifikante Überlegenheit gegenüber Standardtherapie … Insgesamt wird die Akupunktur zur Behandlung von chronischen Rückenschmerzen als eine sinnvolle Ergänzung bestehender Therapieansätze eingestuft“. Soll die Öffentlichkeit über dieses positive Expertenurteil „lachen“, soll sie es „ignorieren“ und die Akupunktur „nicht weiter untersuchen“?
Beispiel „Homöopathie“
Ähnliche Ergebnisse zeigt auch die Versorgungsforschung im Bereich Homöopathie. Der Wissenschaftsblog „Informationen zur Homöopathie“ schreibt hierzu: „Die Studien aus der Versorgungsforschung zeigen in der Summe ein erstaunlich einheitliches Bild: Patienten, die sich homöopathisch behandeln lassen, haben klinisch relevante Verbesserungen. Besonders interessant aus der Perspektive der Versorgungsforschung sind vergleichende (nichtrandomisierte) Studien, in der die ganz normale homöopathische Arztpraxis mit der konventionellen Arztpraxis als Kontrollgruppe verglichen werden, die Therapieeffekte sind hierbei für die Homöopathie ähnlich gut wie in der konventionellen Medizin. Versorgungsstudien aus Großbritannien zeigen ähnliche Ergebnisse wie in Deutschland.“ Soll die Öffentlichkeit über diese Studien „lachen“, soll sie sie „ignorieren“ und die Homöoapthie „nicht weiter untersuchen“?
Irritierende Aussagen des IQWiG-Chefs
Aus Sicht des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) sind dies Besorgnis erregende Aussagen, da das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ein „fachlich unabhängiges, rechtsfähiges, wissenschaftliches Institut“ sein soll und seine Aufgabe die Bewertung des medizinischen Nutzens, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit medizinischer Leistungen ist. Das Institut erhält seine Aufträge vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und vom Bundesgesundheitsministerium. Doch könnte IQWiG-Chef Jürgen Windeler die anthroposophische Medizin, die Akupunktur oder die Homöopathie fachlich unabhängig bewerten, wenn er sich öffentlich derart polemisch und tendenziös äußert?
Der DZVhÄ hat bei den Fraktionen des Deutschen Bundestags, dem GKV-Spitzenverband und im Bundesministerium für Gesundheit Anfang Juni nachgefragt, wie dort Windelers Aussagen bewertet werden. CDU / CSU und FDP fanden keine Zeit, sich dem Thema anzunehmen. Aus dem Büro der Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz hieß es, „ein Statement können wir Ihnen aktuell nicht anbieten“. Die eingegangenen Statements finden Sie in den nachfolgend verlinkten PDF-Dokumenten.
Fragen des DZVhÄ
- Das IQWiG gilt als unabhängiges wissenschaftliches Institut, seine Aufgabe ist u.a. die Bewertung medizinischer Leistungen. Könnte Jürgen Windeler aus Ihrer Sicht komplementärmedizinische Therapien objektiv beurteilen?
- Welchen Stellenwert hat der Methodenpluralismus – und damit auch die Therapiefreiheit des Arztes – für Sie?
- Halten Sie es für sinnvoll, das im GBA und im IQWiG Kommissionen eingerichtet werden, die mit Experten der besonderen Therapierichtungen besetzt sind und
- welche Forschung braucht die Homöopathie und würden Sie diese im Rahmen Ihrer Möglichkeiten unterstützen?
Stellungnahme GKV-Spitzenverband (PDF)
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Stellungnahme MdB Dr. Martina Bunge, Die Linke (PDF)
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Stellungnahme MdB Birgitt Bender, Bündnis 90/Die Grünen (PDF)
Quellen:
Beitragsbild: ©Pixabay