„Die Homöopathie-Lüge: So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen“, unter diesem Titel erscheint in wenigen Tagen ein neues Buch der Autoren Nicole Heißmann (Stern) und Christian Weymayr. Enthält „Die Homöopathie-Lüge“ tatsächlich alles das, was die Verlagsinformation von PIPER ankündigt, dann fehlt auf dem Buchumschlag noch ein wichtiger Hinweis: „Achtung: Dieses Buch gibt nicht den Stand der Wissenschaft wieder sondern ausschließlich die persönliche Meinung der Autoren“. Schließlich gibt es viele kluge Köpfe, welche die Forschungs- und Studienlage zur Homöopathie gänzlich anders interpretieren. Beispielsweise FOCUS-Autor Paul Klammer, der Wissenschafts-Blog „Informationen zur Homöopathie“ oder verschiedene Wissenschaftler, die hier im Blog vorgestellt wurden. Wer Diskutanten einer kontroversen Debatte indirekt und pauschal der Lüge bezichtigt, ohne sich zuvor auf eine sachliche Diskussion und Argumente einzulassen, dessen Stil und intellektuelles Niveau ist noch ausbaufähig. Ob Heißmann und Weymayr neue Argumente oder eher alten Wein in neuen Schläuchen anbieten, das erfahren wir am 08.10.2012.
Klassischer Meinungsjournalismus
Zwar werden Rezensionsexemplare der Publikation vom Piper-Verlag noch nicht herausgegeben, der Titel und die Ankündigung des Buches lassen jedoch keinen Zweifel an der Stoßrichtung der Autoren. Argumentationsgrundlage des Buches ist die von Kritikern hartnäckig kolportierte Behauptung, die Homöopathie sei „ohne jeden wissenschaftlichen Beweis“. Damit ignorieren die Autoren zum einen vorliegende positive Studien zur Homöopathie, die dem sogenannten Goldstandard entsprechen – also doppelblind und placebokontrolliert durchgeführt wurden. Zum anderen halten Weymayr und Heißmann augenscheinlich Studien aus der sogenannten Versorgungsforschung – per Definition die Erforschung von Heilmethoden unter alltäglichen Praxisbedingungen – für nicht relevant. Gerade bei chronischen Krankheiten bestätigt die Versorgungsforschung die Wirksamkeit der Homöopathie als komplettes Therapieverfahren (Gespräch und Gabe von Arzneimitteln). Die Tatsachenbehauptung, die Homöopathie sei ohne jeden wissenschaftlichen Beweis, ist schlicht falsch und verleiht dadurch dem Buchtitel „Die Homöopathie-Lüge“ seine ganz eigene Bedeutung.
Rational oder pseudorational?
Weymayr und Heißmann überhöhen die Homöopathie-Debatte zu einer generellen Auseinandersetzung unterschiedlicher Weltanschauungen: „Vor allem aber untergraben die weißen Kügelchen ein Denken, das auf rationalen Kriterien beruht – wer Homöopathie für möglich hält, muss alles für möglich halten“, sind sich die Autoren sicher. Dreh- und Angelpunkt dieser Argumentation ist dabei fast ausschließlich die bisher fehlende naturwissenschaftliche Plausibilität des Wirkmechanismus´ homöopathischer Hochpotenzen. „Ein Wirkstoff, der bis zur Nichtexistenz verdünnt ist, kann nicht wirken“, urteilen die Wissenschaftsjournalisten. Empirische Daten aus der Versorgungsforschung und die Erfahrungen tausender homöopathischer Ärzte, die den Erfolg der homöopathischen Heilmethode täglich beobachten und dokumentieren, passen dabei nicht ins Bild.
„Das Skeptiker-Syndrom“
Die Argumentation der Autoren, die selektive Wahrnehmung der Studiendaten aus der Homöopathieforschung und das Hochstilisieren zu einer ideologischen Debatte (auf dem Klappentext des Buches) erinnern stark an das Vorgehen der sogenannten „Skeptikerbewegung“, die in der puren Existenz der Homöopathie bereits eine elementare Bedrohung für die gesellschaftliche Verankerung des naturwissenschaftlichen Weltbildes ausmacht. Erstaunlicherweise sperren sich genau diese selbst ernannten „Skeptiker“ gleichzeitig vehement gegen die weitere Erforschung der Homöopathie.
Wie kommt es, dass Weymayr und Heißmann die Sichtweisen dieser Randgruppe übernehmen, die sich selbst als letzte Bastion der bedrohten naturwissenschaftlichen Weltanschauung sieht und aus den Naturwissenschaften eine Art von Religionsersatz macht, deren Dogmen nicht infrage gestellt werden dürfen? Die Antwort: Christian Weymayr ist seit 2011 selbst Mitglied der „Skeptiker“, die sich in der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP) organisieren. Er gehört zu den Hardlinern, die jede Entwicklung hin zu einer „Integrativen Medizin“ verhindern wollen. Einer Medizin, die je nach individuellem Krankheitsbild konventionelle, alternative und komplementäre Heilmethoden zum Wohle des Patienten interdisziplinär verbinden will.
Naturwissenschaft ist jedoch keine Religion. Die Kardinaltugend des Naturwissenschaftlers ist nicht die Glaubensfestigkeit – Neugier und Skepsis sind seine vornehmsten Eigenschaften. Die GWUP unterstreicht ausschließlich die Skepsis und versteht auch diese noch falsch. An allererster Stelle sollte sich die Skepsis des Naturwissenschaftlers gegen die eigenen Dogmen richten.
So gesehen ist die „Die Homöopathie-Lüge“ vielleicht sogar ein wertvolles und lesenswertes Buch. Es lädt dazu ein, den Unterschied zwischen Naturwissenschaft und pseudorationaler Ersatz-Religion zu erkennen. Ist Skepsis nicht mehr ergebnisoffen, so wird sie zu einem negativen Glaubenssystem. Darauf weist der Heidelberger Soziologe Dr. Edgar Wunder (Mitbegründer des Vereins GWUP) in seiner lesenswerten Studie „Das Skeptiker-Syndrom“ hin.
Mächtige Homöopathie-Lobby?
Lügen heißt: bewusst und absichtsvoll die Unwahrheit zu sagen. Das Ziel ist dabei, die Täuschung des Gegenübers zu erreichen, ihn zu manipulieren. Das Wort „betrügen“ steht daher nicht zufällig der Lüge nahe. Synonymwörterbücher führen die Begriffe auf derselben Seite. Nicole Heißmann vom Stern und Christian Weymayr von der GWUP bezichtigen mit ihrem Buch „Die Homöopathie-Lüge“ homöopathische Ärzte schlicht, Betrüger zu sein. Das betrifft rund 7.000 Mediziner mit einer homöopathischen Zusatzausbildung in Deutschland. Laut eigener Aussage stellen sie sich damit gegen eine „sehr mächtig gewordene Lobby“. Doch die Kosten für Homöopathika und ambulante homöopathische Behandlungen machen 0,1 Prozent der Gesamtausgaben der GKV aus. Ist das „sehr mächtig“?
Richtig ist: Die Nachfrage nach Homöopathie steigt gegen alle Widerstände. Eine Marburger Erklärung stigmatisierte die Homöopathie 1992 als „Irrlehre“, 2005 rief The Lancet das „Ende der Homöopathie“ aus und 2010 titelte der Spiegel „Homöopathie: die große Illusion“. Hat das zu einem Vertrauensverlust geführt? Nein, im Gegenteil. Das müssen also entweder virtuose Lügner sein – oder einfach gute Ärzte.
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