„Komplementärmedizin in den Medien, kritisch rezensiert“, so lautet das Motto des neuen Weblogs CAM Media.Watch, das sich Wissenschafts-Kommunikation auf die Fahnen geschrieben hat. Gleich in einem der ersten Beiträge widmet sich Initiator Claus Fritzsche der spannenden Frage, wie Journalisten ein Thema erschließen können, welches kontrovers diskutiert wird und zu dem es innerhalb der Scientific Community mehr als nur eine Sichtweise gibt. Besonders interessant ist in diesem Kontext ein Artikel des Fachjournalisten Stefan Riedl. Riedl rät Journalisten dazu, nicht über Wahrheit und Unwahrheit zu richten und stattdessen die Kontroverse selbst zu thematisieren.
Die Kontroverse zum Thema machen
Dieses Vorgehen trägt journalistischen Grundsätzen wie Sorgfaltspflicht, Rede und Gegenrede sowie Ausgewogenheit in der Berichterstattung besser Rechnung als die Parteinahme für „eine Wahrheit“ der Konfliktparteien. Aus diesem Grund wird diese Idee im vorliegenden Artikel anhand des Themas „Homöopathie“ praktisch angewendet. Sechs wissenschaftliche Quellen werden vorgestellt, die alle dem Ziel dienen und für sich in Anspruch nehmen, den aktuellen Stand der Homöopathie-Forschung fachlich fundiert zusammenzufassen. Die Datenlage scheint dabei viel Raum für Interpretationen zu bieten, der von Wissenschaftlern teils ähnlich und teils sehr unterschiedlich genutzt wird. Wissenschaft ist eben nicht nur das Anwenden von Regeln sondern auch ein sozialer Prozess, der „viele Wahrheiten“ hervorbringt. Ein transparenter Wissenschaftsjournalismus vorgeschlagener Art verlangt dem Leser jedoch nicht weniger ab als Kants „sapere aude – incipe“: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen – jetzt.
Die Karl und Veronica Carstens-Stiftung zum Stand der klinischen Homöopathie-Forschung (März 2006)
Im März 2006 veröffentlichte Dipl.-Stat. Rainer Lüdtke, der Biometriker der Carstens-Stiftung, eine ausführliche Stellungnahme zum Stand der klinischen Homöopathie-Forschung. Sein Bericht stellt „die bisherige klinische Forschung, die zur Frage der Wirksamkeit der Homöopathie betrieben wurde, aus der Sicht der KARL UND VERONICA CARSTENS-STIFTUNG, dem deutschlandweit größten Forschungsförderer zur Homöopathie,“ zusammen. Zum Aspekt der spezifischen Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel äußert sich Rainer Lüdtke:
„Nach dem derzeitigen Stand kann die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel unterstellt werden bei Heuschnupfen, lebensbedrohlichem Durchfall bei Kindern, Weichteilrheuma, Darmlähmung nach Operation und Atemwegsinfektionen. – Dagegen muss angenommen werden, dass bei der Behandlung von Muskelkater, Warzen und Spannungskopfschmerzen oder Migräne der Arzneimitteleffekt nicht über einen Placeboeffekt hinausgeht. Für die allermeisten Erkrankungen ist der heutige Wissensstand aus wissenschaftlicher Sicht nicht ausreichend, um eine Beurteilung abgeben zu können.“
Die Stellungnahme der Carstens-Stiftung zieht das Fazit, dass die Erforschung der Homöopathie nach wie vor erst am Anfang steht, da teilweise noch geeignete Methoden gefunden werden müssen und wichtige Voraussetzungen für gesicherte Erkenntnisse fehlen: „die Bereitschaft der Universitäten, die Homöopathie in ihre Forschung einzubeziehen, die Bereitschaft der homöopathischen Ärzte, an harter Forschung mitzuwirken, und nicht zuletzt: ausreichend finanzielle Mittel.“
Prof. Dr. med. Norbert Schmacke et al. über Forschung zur Wirksamkeit der Homöopathie (Februar 2010)
Eine qualitative Studie der AOK Baden-Württemberg und der Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheitsversorgungsforschung (AKG) Bremen ging zwischen Oktober 2008 und Dezember 2009 der Frage nach, wie Patienten die Versorgung durch homöopathisch tätige, niedergelassene Ärzte wahrnehmen, interpretieren und erleben. Obwohl die Frage nach der spezifischen Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel nicht Gegenstand der Forschungsarbeit war, haben Prof. Norbert Schmacke und seine wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen den Stand der Forschung zur Wirksamkeit der Homöopathie trotzdem umfassend dargestellt. Im Kapitel 2.3 Forschung zur Wirksamkeit der Homöopathie (S. 12ff.) des Abschlussberichts heißt es u.a.:
„Für einige wenige Erkrankungen konnten Wirksamkeitsnachweise erbracht werden: Nach dem derzeitigen Stand der Forschung liegt für die Indikationen Heuschnupfen, Durchfall bei Kindern, Weichteilrheuma, Darmlähmung nach Operation und Atemwegsinfektionen ein Wirksamkeitsnachweis vor … Es gibt jedoch auch Indikationen, für die belegt ist, dass der Arzneimitteleffekt nicht über einen Placeboeffekt hinausgeht, so für die Behandlung von Muskelkater, Warzen und Spannungskopfschmerzen oder Migräne (Witt & Albrecht 2009).“
Das Team von Prof. Dr. med. Norbert Schmacke berücksichtigte auch die zwischen 1991 und 2005 publizierten Reviews und Meta-Analysen zur klinischen Homöopathie-Forschung und schließt mit dem Fazit: „Der Streit um Wirksamkeit und Nutzen von (unterschiedlichen) homöopathischen Verfahren konnte mit anderen Worten bislang zwischen den sog. Schulmedizinern und den sog. Komplementärmedizinern nicht beigelegt werden; die Verständigungsbarrieren sind groß. Für die hier vorgelegte Studie ist dies insofern relevant, als die Inanspruchnahmeraten der Homöopathie (s.u.) von dem methodischwissenschaftlichen Disput offenkundig kaum berührt werden.“
Download des Abschlussberichts (PDF)
Die Charité – Universitätsmedizin zu Berlin über den Forschungsstand zur Homöopathie (Juli 2010)
Das Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie unter Leitung von Prof. Dr. med. Stefan N. Willich sowie Prof. Dr. med. Claudia M. Witt veröffentlichte am 18. Juli 2010 eine zusammenfassende Kurzdarstellung, die auch auf den aktuellen Stand der Homöopathie-Forschung eingeht und ihn kurz zusammenfasst:
„Studien zeigen, dass Patienten, die sich homöopathisch behandeln lassen, meist chronisch krank und schulmedizinisch vorbehandelt sind. Ihre Beschwerden verbessern sich nachhaltig und die Effekte sind – soweit überhaupt erforscht – mit denen schulmedizinischer Behandlung vergleichbar. Inwieweit homöopathische Arzneimittel einem Placebo überlegen sind ist unklar, für viele Indikationen gibt es keine Studien und vorhandene Studien finden widersprüchliche Ergebnisse. Bisher ist nicht eindeutig belegt, dass sich homöopathische Arzneimittel von Placebo unterscheiden.“
Willich und Witt kommen zu dem Schluss, dass die bisher veröffentlichten Meta-Analysen ein abschließendes Urteil nicht zulassen, u.a. weil diagnoseübergreifende Meta-Analysen mit heterogenen Studien methodisch problematisch sind. Was damit gemeint ist, erläuterte Rainer Lüdtke hier. Willich und Witt schließen ihr Fazit mit den Worten: „Es ist also nicht belegt, dass homöopathische Arzneimittel mehr als Placebo sind, aber auch nicht das Gegenteil. Es scheint insbesondere die individuelle und umfassende Art der Behandlung relevant für den Behandlungserfolg zu sein.“
Download der Stellungnahme (PDF)
Stellungnahme von Prof. Edzard Ernst gegenüber dem Britischen Unterhaus
Im Jahr 2009 organisierte das Britische Unterhaus eine „Evidence Check 2: Homeopathy“ genannte Expertenanhörung. Diese diente dem Ziel, die Bereitstellung von Homöopathie durch den National Health Service (NHS) sowie die Lizensierung von homöopathischen Produkten konform zur wissenschaftlichen Bewertung der Homöopathie zu regeln. Im Rahmen des Evidence Check 2 wurden insgesamt 57 Expertenstimmen eingereicht, darunter auch die Memoranden HO 16 und HO 16a von Prof. Edzard Ernst. Zur Frage der Wirksamkeit von homöopathischen Arzneimitteln schreibt Ernst in Memorandum HO 16:
„Homeopaths claim that, while we do not understand how their remedies work, clinical evidence shows that they work. The truth, however, is that systematic reviews or meta-analyses of the totality of the clinical data fail to show that homeopathic remedies generate clinical effects beyond those of placebo. Homeopaths counter by criticising the methodology of the latest Lancet meta-analyses by Shang et al. This, however, ignores the fact that over a dozen similar systematic evaluations have all come to the same conclusion.“
Im Gegensatz zu allen anderen hier aufgeführten Experten differenziert Ernst nicht zwischen erfolgreichen und erfolglosen Wirksamkeitsuntersuchungen für spezifische Indikationen. Er behauptet pauschal, dass bisher alle systematischen Untersuchungen der Wirksamkeit von homöopathischen Arzneimitteln gescheitert wären. Methodologische Probleme, wie sie PD Dr. Klaus Linde im Journal Forschende Komplementärmedizin und Dipl.-Stat. Rainer Lüdtke hier, sowie in einem EICCAM-Forschungsdatenblatt erläutern, werden von Herrn Ernst ebenso ausgeblendet wie die positive Studienlage für einzelne Indikationen (Heuschnupfen, Durchfall bei Kindern, Weichteilrheuma, Darmlähmung nach Operation und Atemwegsinfektionen).
Link zu Memorandum HO 16
Link zu Memorandum HO 16a
Anmerkung: Nach Abschluss der Expertenanhörung äußerten 70 Abgeordnete des Britischen Unterhauses im Memorandum „Early day motion 908“ parteiübergreifend schwerwiegende Kritik an der Qualität des Bewertungsverfahrens, das aus Sicht der Unterzeichner nicht nur durch wissenschaftliche sondern auch durch politische Motive beeinflusst worden sei. Siehe hierzu auch das Heilpraxisnet.de-Interview mit Claus Fritzsche.
HTA-Bericht „Homöopathie“ von Prof. Dr. med. Peter F. Matthiessen et al. (Januar 2005)
Im Januar 2005 veröffentlichten Dr. med. Gudrun Bornhöft, Dr. med. Stefanie Maxion-Bergemann, Dr. med. Ursula Wolf, Prof. Dr. med. Peter F. Matthiessen und weitere Mitarbeiter einen HTA-Bericht (HTA = health technology assessment), der im Auftrag des Eidgenössischen Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) im Rahmen des Programm Evaluation Komplementärmedizin (PEK) erstellt wurde. Zur Frage der Wirksamkeit der Homöopathie heißt es in der Zusammenfassung des HTA-Berichts:
„Hier wurden alle bis Juni 2003 erstellten und verfügbaren Systematischen Reviews zur Homöopathie (als Gesamtsystem oder in Bezug auf einzelne Indikationen oder Inverventionen) analysiert. Die Bewertung erfolgte sowohl für die Studienqualität (sog. interne Validität) als auch für die sog. Alltagswirksamkeit (externe Validität) der Studien. Es wurden insgesamt 22 Reviews bearbeitet. In der Zusammenschau der Studienergebnisse fanden 20 von 22 Reviews zumindest einen Trend zugunsten der Homöopathie. Fünf dieser Literaturstudien zeigten Ergebnisse, die nach unserer Einschätzung sogar einen deutlichen Beleg für die Wirksamkeit einer homöopathischen Intervention ergaben. Lediglich in 2 (von 22 Reviews) war kein positiver Nachweis für die Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung zu erkennen.“
Der HTA-Bericht hat einen Untersuchungs-Schwerpunkt, wie er in der Versorgungsforschung üblich ist. Er untersucht die Frage, wie wirksam eine homöopathischen Behandlung unter Alltagsbedingungen ist. Die für die Homöopathie insgesamt positiven Ergebnissen geben jedoch keine Auskunft darüber, in welchem Maße der therapeutische Effekt durch homöopathische Arzneimittel, das therapeutische Setting oder andere Faktoren beeinflusst wird. Der HTA-Bericht weist auch darauf hin, dass die Mehrzahl der untersuchten Studien – insbesondere die Studien mit hoher Evidenzstufe – aus homöopathischer Sicht eine „verzerrte Homöopathie“ aus dem klinischen Labor repräsentiere und die gängige homöopathische Praxis nicht korrekt abbilde (Individualisierung, Beobachtungszeitraum).
Download des HTA-Berichts „Homöopathie“ (PDF)
Dr. med. Michael Teut et al. zum Stand der klinischen Homöopathie-Forschung
Das Weblog „Informationen zur Homöopathie“ von Dr. med. Michael Teut, Dr. med. Christian Lucae, Dr. med. Matthias Wischner und Jörn Dahler informiert auf einer speziellen Seite zum Stand der klinischen Homöopathie-Forschung. Die vier Fachärzte weisen gleich zu Beginn ihrer Übersicht darauf hin, dass nur über wenige Therapierichtungen in der Medizin so viel diskutiert und gestritten wurde wie über die Homöopathie. „Dabei bewegen sich die Fronten zwischen skeptischer Ablehnung, kritischer Neugier, pragmatischer Anwendung und begeisterter Zustimmung.“
Zur Frage, ob Patienten im Alltag von der Homöopathie profitieren (Versorgungsforschung) schreiben die Autoren u.a.:
„Die bisherige Forschung konzentriert sich auf die ärztlich ausgeführte Homöopathie. Studien zeigen, dass vorwiegend Patienten mit langbestehenden chronischen Erkranken behandelt werden. Die bislang größte Studie zur Homöopathie aus der Versorgungsforschung ist eine prospektive Beobachtungsstudie über 8 Jahre mit 3981 Patienten. Diese Studie wurde an der Universitätsklinik Charité in Berlin in Praxen von über 100 klassisch homöopathisch arbeitenden Ärzten durchgeführt. (Literatur: 1, 2). Die häufigsten Behandlungsdiagnosen der Patienten waren langjährige chronische Krankheiten, bei Frauen Kopfschmerzen und Migräne, bei Männern allergischer Schnupfen und Bluthochdruck, bei Kindern Neurodermitis und Infektanfälligkeit. In der oben genannten Studie zeigte sich im Vorher-/Nachhervergleich eine Reduktion der klinischen Symptome im Mittel um fast die Hälfte und eine deutliche Besserung der Lebensqualität.“
Zur Frage, ob homöopathische Arzneimittel signifikant besser als Placebo wirken (Meta-Analysen Placebo-kontrollierter Studien), schreiben die Fachärzte u.a.:
„Kritiker sind meist nicht bereit, Erfolge der Homöopathie in der Krankenversorgung zuzugestehen, solange nicht die spezifische Wirksamkeit der “Globuli” gegenüber einem Scheinmedikament (Placebo) erbracht ist. Häufig wird behauptet, es gebe nur “negative Studien” oder gar “keine überzeugenden Studien” zur Homöopathie. Das ist eine Fehlinformation, die zum Teil gezielt gestreut wird …
… Die Daten aus den randomisierten Studien werden von verschiedenen Arbeitsgruppen in Metaanalysen und Systematischen Reviews unterschiedlich selektiert und interpretiert. Das Resultat ist offensichtlich davon abhängig, wieviele Studien die Kriterien für eine gute Qualität erfüllen. Während Shang et al. bei 8 Studien zu einem negativen Ergebnis kommen, kommen Linde et al. und Lüdtke et al. in ihren Metaanalysen mit 26 bzw. 21 Studien zu positiven Ergebnissen. Aufgrund der Heterogenität der Studien, werden diese Metaanalysen aber kritisiert. Es erscheint sinnvoller, Systematische Reviews und Metaanalysen zur homöopathischen Behandlung konkreter Krankheiten zu erstellen. Positive Evidenz liegt in Metaanalysen für kindlichen Durchfall und Heuschnupfen vor. Darüber hinaus gibt es weitere randomisierte Studien mit positiver Evidenz (Fibromyalgie, ADHS, postoperativer Ileus) und negativer Evidenz (Migräne, Arnica präventiv bei Muskelkater).“
Teut, Lucae, Wischner und Dahler stellen abschließend fest, dass die Homöopathie aus Sicht der Versorgungsforschung einen therapeutischen Effekt zeigt, der mit der konventionellen Medizin vergleichbar ist. Dabei führen beide Therapiesysteme zu ähnlichen Kosten: „Die Homöopathie durch Gesprächszeit, die konventionelle Medizin durch Medikamentenkosten.“
Link zur Übersichtsseite „Klinische Forschung“
Quellen
– „“Homöopathie – nichts als Plazebo?“, Kommentar – Klaus Linde, München, Forsch Komplementärmed 2006;13:52–57, DOI: 10.1159/000090625
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