Was zeichnet einen guten Arzt bzw. eine gute Ärztin des Jahres 2010 aus? Glaubt man den Ergebnissen einer Expertentagung, die im Februar 2009 auf Einladung von Prof. Claudia M. Witt (Univ.-Professorin für Komplementärmedizin an der Charité) in Berlin stattfand, so führen weder eine längere Ausbildung noch eine längere Praxiserfahrung zwangsläufig zu besseren therapeutischen Ergebnissen. Frau Witt hat sich auf die Suche nach dem „guten Arzt“ begeben und dabei Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten um ihre Meinung dazu gebeten. Die Expertenrunde kam u. a. zu folgendem Konsens: „Ein guter Arzt ist fachlich kompetent und versucht, ein möglichst gutes therapeutisches Setting zu schaffen. In diesem zeigt er Handlungsoptionen auf, lässt den Patienten mit diesen aber nicht allein und bietet auch Beratung an bzw. vermittelt Informationen zum Selbstmanagement. Er versteht sich zudem als Teil eines interprofessionellen Netzwerkes, in dem verschiedene Kompetenzen zusammen kommen und sich ergänzen.“
Der KVC Verlag der Karl und Veronica Carstens-Stiftung hat das Buch am Montag dieser Woche vorgestellt. In Erwartung eines spannenden und wegweisenden Fachbuchs für angehende und praktizierende Ärzte stellen wir ihnen zunächst die Presseinformation des Verlags, das Vorwort von Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe sowie das Inhaltsverzeichnis des Buchs vor.
Der KVC Verlag über dieses Buch:
Der gute Arzt aus interdisziplinärer Sicht diskutiert Fähigkeiten und Eigenschaften, die einen Arzt heutzutage zu einem „guten“ Arzt machen, und gibt Hinweise auf eine Neuausrichtung der Ausbildung. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer.
Eine längere Ausbildung und längere Praxiserfahrung eines Arztes spiegeln sich nicht zwangsläufig positiv im Therapieergebnis wider. Die Herausgeberin des vorliegenden Buches, Prof. Claudia Witt von der Charité, sagt: „In einer Studie aus dem Jahr 2006 gab es einzelne Ärzte, deren Patienten sich im Durchschnitt deutlicher besserten als diejenigen ihrer Kollegen. Keiner der üblichen Faktoren, wie Ausbildungszeit, Praxiserfahrung oder Anzahl an Zusatzqualifikationen konnte dies erklären“.
Ein Expertengremium um Witt nahm sich daher der Frage an, was einen „guten Arzt“ auszeichnet. Ein wesentliches Resultat war, dass neben der medizinischen Fachkompetenz den kommunikativen und psychosozialen Fähigkeiten entscheidende Bedeutung zukommt.
Die Publikation richtet sich an Ärzte, Angehörige anderer medizinischer Berufe, Studierende und interessierte Laien, die sich in ihrem Berufsalltag mit dem Thema der Arzt-Patienten-Kommunikation konfrontiert sehen.
Vorwort von Prof. Jörg-Dietrich Hoppe
Notwendige Selbstvergewisserung
Ein Vorwort von Prof. Dr. med. Dr. h. c. Jörg-Dietrich Hoppe
Analog zur Aussage des Heiligen Augustinus, dass jeder wisse, was die Zeit sei, wenn er aber gefragt würde, es sehr schwer erklären könne, wird man sagen dürfen, dass jeder ein sicheres Gespür dafür hat, was ein guter Arzt ist. Es im Einzelnen zu beschreiben, fällt allerdings deutlich schwerer, ebenso die Umstände zu erkennen, die einem solchen Ideal widersprechen oder die Rahmenbedingungen zu bestimmen, in denen der gute Arzt entstehen kann.
Nun steht das Bemühen des Kreises um Frau Prof. Witt, das in diesem Band dokumentiert wird, in einer langen Tradition um die Bestimmung des Wesens des guten Arztes.
Zeiten und Epochen hatten sicherlich unterschiedliche Vorstellungen von dem, was einen guten Arzt ausmacht. Im Wesenskern – so würde ich aber behaupten – sind die Vorstellungen identisch.
Aktuelle Versuche, darauf möchte ich verweisen, sind das Bemühen des Murrhardter Kreises der Robert Bosch Stiftung 1988, das Arztbild der Zukunft zu bestimmen und Der gute Arzt: Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung von Klaus Dörner aus dem Jahr 2001.
Die Selbstvergewisserung der Merkmale und Bedingungen des guten Arztes ist eine Daueraufgabe innerhalb der Profession und der Medizin, und es ist wichtig, sich immer wieder diesen Bemühungen zu unterziehen. Es ist deshalb wichtig, weil die Summe der Veränderungen im Gesundheitswesen, innerhalb der Sozialisation und Ausbildung zum Arzt, der Erwartungen, der ökonomischen Rahmenbedingungen, der Möglichkeiten der Medizin, der Veränderungen im Sozialgefüge der Gesellschaft etc. diese Form der Selbstvergewisserung erfordert.
Die Veränderungen im Gesundheitswesen führen nicht automatisch zu der vom Patienten sehnlich erwünschten ärztlichen Haltung.
Das überdurchschnittliche Abitur allein, die Evidenzorientierung der Medizin, das große Heilsversprechen medizinischer Diagnostik und Therapie, die Klärung des Verhältnisses zu anderen Heilberufen etc. bergen alle ein Potential der Stärkung dieses Ideals, sind allerdings auch in der Lage, es zu gefährden.
Die Gefährdungen sind sowohl selbst als auch fremd verschuldet.
Die kollegiale Aus-, Weiter- und Fortbildung kann dazu beitragen das Ideal zu fördern oder es zu verfehlen, die Differenzierung und Spezialisierung in der Medizin setzen das Ideal unter erheblichen Druck.
Die bisherige Bemühung um die Klärung dessen, was zum guten Arzt gehört, und wie Rahmenbedingungen denkbar sind, die dieses Ideal wach halten können, sind in den einzelnen Beiträgen des vorliegenden Bandes überzeugend ausgelotet:
- Es wird das mehrdimensionale Erwartungsgefüge an den Arzt deutlich, der einerseits kompetent und qualifiziert seine Kunst zu beherrschen hat und andererseits in immer stärkerem Maße auch über soziale, kommunikative, empathische Fähigkeiten verfügen muss.
- Es wird deutlich, dass es unter Rahmenbedingungen, die anderen Prinzipien und Zielen folgen, schwer sein wird, von einzelnen Ärztinnen und Ärzten die Realisierung des Ideals zu erwarten.
- Es wird damit aber auch klar, dass, wenn dies Ideal Geltung haben soll, es der bewussten politischen Sorge bedarf.
Ich freue mich sehr über die Initiative, gefördert von der Carstens-Stiftung, wieder einmal einen aktuellen Versuch zu starten, die Wesensmerkmale guter ärztlicher Tätigkeit zu bestimmen, die Mehrdimensionalität dieses sehr anspruchsvollen Themas auszuleuchten und der ärztlichen Profession ein Angebot der Selbstklärung und der Selbstvergewisserung zu unterbreiten.
Es ist ein ehrenwertes Verdienst der Arbeitsgruppe und der Kollegin Frau Prof. Witt, sich dieser anspruchsvollen Aufgabe gewidmet zu haben, und ich wünsche ihr und der Gruppe, dass dieser Band viel Aufmerksamkeit finden wird.
Ich hoffe, dass die Arbeit dazu beiträgt, das Bemühen um diese notwendige Selbstvergewisserung zu stärken.
Ich bin jedenfalls zutiefst davon überzeugt, dass wir trotz aller Reformen, Veränderungen, Anpassungen und Effizienzbemühungen den Auftrag des Gesundheitswesens verfehlen, wenn wir es unmöglich machen, dass sich Patientin / Patient und Ärztin / Arzt in einer qualitativ befriedigenden Form begegnen können.
Wenn diese besondere und zerbrechliche Form der Begegnung in einer existentiellen Grenzsituation zwischen Patient und Arzt zerstört wird, haben alle Bemühungen um Systemveränderungen versagt.
Berlin, im Februar 2010
(Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Copyright: KVC Verlag, Essen. Weblinks stammen nicht vom Autor sondern von der Redaktion dieses Blogs.)
Inhaltsverzeichnis:
I. Perspektiven
Was macht einen guten Arzt aus? – Eine studentische Perspektive
Dorothee Schricke, Agata Mossakowski, Arne Riedlinger, Oliver Wendt – Seite 1
Die Ausbildung zukünftiger Ärztinnen und Ärzte
Eckhart G. Hahn – Seite 9
Professionalität lehren oder: Wie man ein „guter Arzt” wird – Erfahrungen aus der Mayo Clinic
Paul S. Mueller – Seite 13
II. Das Expertentreffen
Der gute Arzt aus interdisziplinärer Sicht
Claudia Witt – Seite 43
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Expertentreffens – Seite 49
III. Gesellschaftlicher Kontext
Der „gute Arzt“ – Medizinhistorische Anmerkungen
Robert Jütte – Seite 55
Einfluss des gesellschaftlichen Kontextes auf den „guten Arzt“
Wolfgang Klitzsch – Seite 69
Der gute Arzt aus Patientensicht
Bettina Berger – Seite 75
IV. Kommunikation
Theoretische Aspekte der Arzt-Patienten-Interaktion
Hartmut Schröder – Seite 93
Der ärztliche Umgang mit kommunikativer Asymmetrie
Tim Peters – Seite 119
Der gute Arzt – Eine psychosomatische Perspektive
Hans-Christian Deter Seite 135
Klinisches Emplotment – Erfolgreiche Arzt-Patienten-Beziehungen?!
Christine Holmberg – Seite 141
V. Aus- und Weiterbildung – Ärztliche Empathie
Ärztliche Empathie – Definition, therapeutische Wirksamkeit und Messung
Melanie Neumann, Friedrich Edelhäuser, Diethard Tauschel, Christian Scheffer – Seite 157
Wie wird aus einem Medizinstudierenden ein guter Arzt? – Die Entwicklung einer ärztlichen Grundhaltung im Medizinstudium
Christian Scheffer, Diethard Tauschel, Eckhart G. Hahn, Melanie Neumann, Martin Fischer, Gabriele Lutz, Friedrich Edelhäuser – Seite 187
Arzt und Patient in der Begegnung – Wie Kommunikationsschulungen dazu beitragen können, die Arzt-Patienten-Interaktion zu verbessern und das Vertrauen zu erhöhen
Simone Steinhausen, Holger Pfaff, Christian Janßen, Sonja Thüm, Edmund Neugebauer, Rolf Lefering, Oliver Ommen – Seite 207
VI. Besonderheiten der Komplementärmedizin
Der Einfluss der Komplementärmedizin auf das ärztliche Denken und Handeln
Michael Elies – Seite 231
Welche Motivationen haben deutsche Ärztinnen und Ärzte, Homöopathie, Akupunktur oder Ayurveda auszuüben? Welche Vorstellungen von einem „guten Arzt“ haben sie und ihre Patientinnen und Patienten?
Gunnar Stollberg – Seite 239
Das Buch „Der gute Arzt aus interdisziplinärer Sicht“ direkt beim KVC Verlag bestellen …
Beitragsbild: ©Pexels