Das zentrale Grundlagenwerk der Homöopathie – „Organon der rationellen Heilkunde“ – wurde 1810 von Samuel Hahnemann veröffentlicht. Ist ein medizinisches Lehrbuch nach 200 Jahren noch aktuell? Die Veranstaltungen Organon 2010 des DZVhÄ beschäftigen sich mit den wichtigsten Konzepten der Lehre Samuel Hahnemanns. Sie richten sich u. a. an Ärzte, Politiker, Journalisten und an die interessierte Öffentlichkeit. Der nächste Termin findet am Freitag, den 1. Oktober in Leipzig statt: Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner von der Universität Bern (KIKOM) und Dr. med. Silke Meisel, Fachärztin für innere Medizin aus Dresden, halten einen Vortrag über die Grundlagenforschung zur Potenzierung und den Einsatz verschiedener Potenzen in der Praxis.
Begrüßung: Monika Kölsch, Vorstandsmitglied des DZVhÄ
Vorträge und Diskussion: Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner (Universität Bern, Kollegiale Instanz für Komplementärmedizin, KIKOM) und Dr. med. Silke Meisel (Dresden)
Zeit: 1. Oktober 2010, 18.30 Uhr
Ort: Alte-Nikolaischule, Nikolaikirchhof 2, 04149 Leipzig
Sonstiges: Der Eintritt ist frei.
Wissenschaftlich umstritten ist die Homöopathie hauptsächlich aufgrund der Potenzierung, obwohl sie kein Grundprinzip der Homöopathie ist, sondern ein rein pragmatisch entwickeltes Verfahren. Dass dieses Konzept funktioniert, lässt sich nicht nur mit einer ganzen Reihe von erfolgreichen Doppelblindstudien belegen; auch aus der Praxis gibt es gute Belege für eine spezifische Wirkung der verwendeten Mittel, die sich von einer reinen Placebowirkung deutlich unterscheidet. Wann welche Potenzen in der Praxis zum Einsatz kommen, schildert die Internistin Dr. Silke Meisel. Warum homöopathische Arzneien wirken, dass erforscht der Physiker Dr. Stephan Baumgartner an der Universität Bern.
Physikalische Untersuchungen homöopathischer Hochpotenzen
Es gibt inzwischen eine Vielzahl physikalischer Untersuchungen homöopathischer Hochpotenzen. Nur wenige dieser wissenschaftlichen Arbeiten können jedoch als vertrauenswürdig eingestuft werden. Prof. Dr. med. Claudia M. Witt stellte in einer Bestandsaufnahme des Jahres 2000 – d.h. vor inzwischen schon zehn Jahren – fest:
„Die vorliegende Arbeit gibt im ersten Teil eine systematische Übersicht über 22 Veröffentlichungen zu physikalisch-experimentellen Versuchen mit homöopathischen Arzneien wieder. Nur drei (Walach 1998, Demangeat 1992 und 1997) Veröffentlichungen zeigten eine ausreichende methodische Absicherung der Versuchsergebnisse und konnten als verlässlich gewertet werden … Es konnte nachgewiesen werden, dass ein großer Teil der bisher veröffentlichten physikalisch-experimentellen Versuche mit homöopathischen Arzneien methodisch nicht valide war.“
Quelle: „Physikalische Untersuchung homöopathischer Hochpotenzen“, Claudia Witt, 2000
Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner
Der Forscher Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner leitet die Abteilung Grundlagenforschung Anthroposophische Medizin und Homöopathie an der Universität Bern und kennt die von Claudia Witt, inzwischen Univ-Professorin für Komplementärmedizin, dokumentierten Probleme. Stephan Baumgartner studierte Physik, Mathematik und Astronomie an der Universität Basel. Danach folgten: Forschungsaufenthalt an der Mathematisch-Astronomischen Sektion am Goetheanum, Dornach. Doktorat in Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich. Post-Doc in der Abteilung Umweltphysik der EAWAG, Dübendorf. Seit 1996 ist er Mitarbeiter in der Abteilung Grundlagenforschung im Institut Hiscia, Verein für Krebsforschung, Arlesheim, sowie Oberassistent an der Kollegialen Instanz für Komplementärmedizin (KIKOM) der Universität Bern.
Was motiviert einen Physiker wie Stephan Baumgartner, sich mit den physikalischen Auswirkungen eines homöopathischen Arzneimittels auseinanderzusetzen, dessen hoch potenzierte Variante kein einziges Atom der Ursprungssubstanz enthält? Ein Interview im Dokumentarfilm „Homöopathie – das Geheimnis der weißen Kügelchen“ der Neuen Züricher Zeitung gibt darüber Auskunft. Stephan Baumgartner forscht bereits seit einigen Jahren im Bereich Homöopathie & Pflanzen (-schutz), u. a. gefördert durch die Carl und Veronica Carstens-Stiftung. Auf diese Arbeiten bezieht sich auch der folgende NZZ-Filmtext:
Mit Hilfe von Erbsen wagt sich Stephan Baumgartner trotz allem an den naturwissenschaftlichen Beweis: Bevor sie eingepflanzt werden, lässt er die Samen während 24 Stunden quellen – die einen in unbehandeltem Wasser, die anderen in Wasser mit homöopathisch potenzierten Wachstumshormonen.
Statement Stephan Baumgartner, Physiker, Universität Bern:
„Also, mein Ausgangspunkt war, dass es klinische Studien gibt, wo etwa 100 Patienten einerseits mit Placebo behandelt wurden und 100 Patienten mit potenzierten Pollen in einer Verdünnung wo – sag ich als Physiker – wirklich nichts mehr drin ist. Und es gab einfach hoch signifikante Unterschiede. Die Patienten, die Heuschnupfen oder Asthma hatten, die hatten einfach viel weniger Beschwerden und das kann nach all dem, was wir als Physiker wissen, nicht sein. Und das ist jetzt einfach eine – würde ich jetzt mal sagen – für einen Naturwissenschaftler unheimliche Herausforderung, dem auf den Grund zu gehen, was da eigentlich drin ist, in diesen Globuli und Dilutionen.“
Bereits nach vier Tagen sind erhebliche Unterschiede im Wachstum zu sehen. In früheren, bereits ausgewerteten Versuchen konnte das Blattvolumen der Erbsen mit Hilfe von homöopathischen Potenzen um bis zu 20% erhöht werden.
Statement Stephan Baumgartner, Physiker, Universität Bern:
„Das interessante Phänomen war, dass wir tatsächlich beobachten konnten, dass sie eben nicht wie ein Dünger wirken, das heisst, dass einfach alle Pflanzen im Wachstum gefördert werden, sondern dass man wie eine Art ausgleichende Wirkung hat, bis zu einem gewissen Grad sogar eine intelligente Wirkung in dem Sinn, als dass in so einem Pflanzenkollektiv die kleinen Pflanzen besonders stark gefördert werden, währenddem die Großen nicht gefördert werden im Wachstum, sondern sogar etwas gehemmt werden.“
Vergleichbare Beobachtungen hat auch eine Doktorandin gemacht, welche die Wirkung homöopathischer Arzneimittel auf Wasserlinsen untersuchte. Stephan Baumgartner lassen derartige Experimente keine Ruhe und er will physikalisch verstehen, was sich hier abspielt. In der Grundlagenforschung zur Homöopathie werden sehr unterschiedliche Erklärungsmodelle untersucht. So verfolgt Prof. Dr. Dr. Harald Walach beispielsweise einen quantenphysikalischen Ansatz, in dem das Phänomen der sog. Verschränkung eine Rolle spielt. Begleitende experimentelle Studien zeigten bereits spektakuläre Effekte. Stephan Baumgartner verfolgt ein physikalisches Erklärungsmodell, das auf der Cluster-Theorie aufbaut. Im NZZ-Filmtext heißt es dazu:
Wird Salz in Wasser aufgelöst, gruppieren sich die Wassermoleküle um die Salzkristalle. Ähnliche Cluster bilden sich bei homöopathischen Lösungen – und sie bleiben, so die ursprüngliche Theorie, auch bei starker Verdünnung erhalten.
Statement Stephan Baumgartner, Physiker, Universität Bern:
„Das Erstaunliche ist, und das war für mich auch überraschend selber als Physiker, dass es nun genau in die andere Richtung geht. Nämlich dergestalt, dass wir keine stabilen Cluster finden bei den homöopathischen Potenzen, in den untersuchten Lösungen. Sondern eigentlich das Gegenteil, nämlich eine Dynamisierung dieser Bewegungen. Also man darf sich diese Cluster nicht zu statisch vorstellen, denn die gruppieren sich millionenfach in der Sekunde um und neu. Und gerade diese Bewegung scheint durch die homöopathische Potenzierung intensiviert zu werden. Also man misst so etwas wie eine Art höheren Energiezustand, den wir aber noch nicht genau erfassen können.“
Quelle: NZZ Format, Das Fernsehen der Neuen Züricher Zeitung
Links zum Thema:
Universität Bern, Institut für Komplementärmedizin
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