Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften, kurz GWUP, fordert Aktionisten „auf der ganzen Welt“ auf, an der globalen Aktion „Homöopathische Überdosis“ am 5. Februar teilzunehmen, „um die Öffentlichkeit auf die Nutzlosigkeit homöopathischer Präparate aufmerksam zu machen“. Die politische Aktion versteht sich als Teil der internationalen Kampagne 10:23, die von Mitgliedern der „Skeptiker“-Bewegung in Großbritannien entwickelt wurde. Was spricht für die Aktion homöopathische „Überdosis“? Welche Fakten sprechen gegen die Kampagne? Und welche Motive hat der Verein GWUP e.V. Der folgende Beitrag geht diesen Fragen nach.

Pro-Argumente: „Aktion 10:23“

1. Kein pharmakologischer Wirkmechanismus

Der Verein GWUP e.V. schreibt auf seiner Webseite: „Während bei normalen verschreibungspflichtigen Medikamenten Überdosen zu schweren Schäden, ja zum Tod führen können, ist dies bei hoch verdünnten homöopathischen Mitteln nicht der Fall: sie enthalten keine Wirkstoffe mehr, nur noch Lösungsmittel. Es ist nichts drin!“ Diese Aussage ist hinterfragungswürdig, da es bisher keine aussagekräftigen Untersuchungen über die exakt und valide gemessenen Inhaltsstoffe von Hochpotenzen gibt und indische Forscher jüngst zumindest Nanopartikel der Ausgangssubstanz entdeckten. Eine wichtige Botschaft der „Aktion 10:23“ ist jedoch korrekt:

Homöopathische Arzneimittel lösen keinen klassischen pharmakologischen Wirkmechanismus aus. Und: Es ist bisher kein arzneimittelspezifischer Wirkmechanismus bekannt, der durch wissenschaftliche Daten solide gestützt wird.

2. PR-Effekt der Kampagne

Curt Kösters, heute 2. Vorsitzender des DZVhÄ, kommentierte bereits im Januar 2010 die britische Original-Kampagne 10:23 mit den Worten:
„Hut ab vor der Kampagnenfähigkeit dieser Leute! Das kommt wesentlich moderner daher als vergleichbare deutsche Publikationen. Die Marburger Erklärung von 1992 etwa war noch im Sprachduktus der Heiligen Inquisition verfasst: ‘Der Fachbereich Humanmedizin der Philipps-Universität Marburg verwirft die ‚Homöopathie’ als eine Irrlehre’. Da roch man doch schon den Scheiterhaufen. Auch wenn gerade mal 1.500 gesammelte Unterstützer für die 1023-Kampagne nicht weltbewegend sind, das publizistische Echo in den britischen Medien ist gut. Die 1023-Kampagne ist so professionell wie moderne Werbe- oder Wahlkampagnen. Dahinter steckt entweder viel Geld oder viel Engagement – oder beides.“

Der Verein GWUP e.V., Veranstalter der momentanen „Aktion 10:23“, leidet bis heute unter dem Austritt ehemals führender Mitglieder wie Edgar Wunder (Das Skeptiker-Syndrom) und Stephan Matthiesen, die 1999 die Gesellschaft für Anomalistik e.V. gründeten. Die Kampagnen-Fähigkeit der GWUP ist seit dieser Zeit schwach. Sichtbar wurde dies zuletzt rund um die GWUP-Kampagne „Bundestags-Petition gegen  Homöopathie“, die nur 2.119 Mitzeichner fand. Bei geschätzten rund 1.000 Vereins-Mitgliedern konnte die GWUP pro eigenem Mitglied nur eine unterstützende Person mobilisieren, was Splittergruppen-Potenzial dokumentiert. Zum Vergleich: Die Petition „Keine Umsetzung des EU-Verkaufsverbotes für Heilpflanzen“ fand 121.819 Mitzeichner, obwohl sie unprofessionell konzipiert und organisiert wurde und von den Verbänden in diesem Bereich nicht unterstützt wurde.

Die Homöoapthie ist in großen Bevölkerungskreisen sehr beliebt (Forsa, BKK-Gesundheit). Sie gibt uns Rätsel auf, wird hoch emotional diskutiert und lässt sich daher sehr gut für Kampagnen aller Art instrumentalisieren. Vor diesem und dem geschilderten Hintergrund ist es ein kluger Schachzug von GWUP-Chef Amardeo Sarma, sich der britischen Kampagne aus dem Jahr 2010 zu bedienen und die Vorstellung einer großen weltweiten Bewegung zu vermitteln.

Contra-Argumente: „Aktion 10:23“

1. Naive Logik: starke Nebenwirkungen = gute Pillen?

Die 10:23-Kampagne basiert auf einer Logik, die auf den ersten Blick plausibel klingt, sich bei genauerer Betrachtung jedoch als irrational erweist. „Während bei normalen verschreibungspflichtigen Medikamenten Überdosen zu schweren Schäden, ja zum Tod führen können, ist dies bei hoch verdünnten homöopathischen Mitteln nicht der Fall“, heißt es auf der GWUP-Homepage. Dahinter steckt die naive Logik, dass „gute“ Pillen auch starke Nebenwirkungen haben müssen. Nur so macht die öffentliche Einnahme von homöopathischen Hochpotenzen Sinn. Fehlende Nebenwirkungen sollen eine fehlende Wirkung belegen – und zwar vor Publikum in Berlin, Essen, Frankfurt, Hamburg, Köln, München und Wien. Genau das ist jedoch Nonsens.

Die pharmazeutische Realität sieht etwas komplexer und vielschichtiger aus. Es gibt spezifisch wirksame Arzneimittel mit geringen Risiken. Es gibt gefährliche Nebenwirkungen, die jedoch nur in Subgruppen (nicht in der breiten Masse) eine Rolle spielen. Und es gibt auch, dies hat zuletzt eine Reanalyse aller Antidepressiva-Meta-Analysen (STAR*D-Trials) gezeigt, die Kombination aus bescheidener Langzeitwirkung und hohen Nebenwirkungen. Zum guten Schluss sind starke Nebenwirkungen nicht wirklich „sexy“. Stimmen die Schätzungen von Prof. Dr. Jürgen Fröhlich, Direktor der Abteilung für klinische Pharmakologie an der medizinischen Hochschule in Hannover, so könnten sie Todesursache Nr. 3 in Deutschland sein.

Die Überzeugungskraft der Kampagne 10:23 steht und fällt mit der Logik „gute Pillen haben starke Nebenwirkungen“ sowie „wir zeigen öffentlich, dass homöopathische Hochpotenzen keine Nebenwirkungen haben – somit auch nicht wirken“. Der Verein GWUP e.V. und die britischen Skeptiker bewegen sich mit dieser zentralen Botschaft auf Sandkasten-Nivau. Die Kampagne 10:23 mag lustig wirken. Sie ist jedoch nicht ausreichend durchdacht – und könnte sich am Ende gar noch als Bumerang erweisen. Bewiesen wird mit dieser Aktion nichts außer der Unschädlichkeit homöopathischer Arzneimittel.

2. Methodik hat wissenschaftlich keinerlei Aussagekraft

Die Karl und Veronica Carstens-Stiftung weist in einer Pressemeldung darauf hin, dass die „Kampagne 10:23“ gemessen an wissenschaftlichen Kriterien keinerlei Aussagekraft hat. „Das von den Veranstaltern immer wieder geforderte wissenschaftliche Vorgehen zum sicheren Nachweis der Wirkung und Wirksamkeit von Arzneimitteln wird mit dieser Vorgehensweise nicht erfüllt“, betont die Stiftung und nennt folgende Gründe:

Keine Erfassung von Symptomen: „Es fehlt jegliche Form der Messung von Symptomen (bspw. in Form einer Befragung oder sorgfältigen Dokumentation) nach der Einnahme der Homöopathika.“

Keine Kontrollgruppe: „Es gibt keine Kontrollgruppe. Damit fehlt jede Form der Verblindung der Studienleiter und Teilnehmer, um Voreingenommenheit und Ergebnisverfälschungen auszuschließen.“

Keine Kriterien für Probanden: „Einschlusskriterien für Probanden sind nicht gegeben. Dadurch wird ein Vergleich der Probanden untereinander unmöglich.“

Keine Erfassung des Gesundheitszustands: „Der Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Einnahme wird nicht erfasst. Damit kann eine Veränderung der Befindlichkeit (wenn gemessen würde) nicht erkannt werden.“

Keine angemessenen Rahmenbedingungen: „Darüber hinaus werden sämtliche Kriterien einer homöopathischen Arzneimittelprüfung am Gesunden missachtet, z. B. die Dauer der Einnahme, die Glaubwürdigkeit und Gewissenhaftigkeit der Probanden und die Dosierung der Arzneimittel.“

Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) erläutert, warum die von der GWUP inszenierte „Überdosis“ homöopathischer Arzneien sinnfrei ist: „Diese sogenannte Überdosierung ist völliger Nonsens, da es bei Hochpotenzen keine Rolle spielt, ob 2 oder 500 Globuli zu sich genommen werden“, erklärt Curt Kösters, zweiter Vorsitzender des DZVhÄ, „darüber hinaus gibt es für eine homöopathische Arzneimittelprüfung medizinische Voraussetzungen, die für das Gelingen entscheidend sind.“ Die Häufigkeit der Einnahme von Globuli sei entscheidend, nicht die Menge.

Fazit der Carstens-Stiftung: „Zwischen 1945 und 1995 wurden 156 Arzneimittelprüfungen zu 143 verschiedenen Arzneimitteln bei 2815 Probanden publiziert … Eine methodisch hochwertige Arzneimittelprüfung aus dem Jahr 2008 hat gezeigt, dass statistische Verfahren zur Bestätigung bekannter Arzneimittelbilder einsetzbar sind. Darüber hinaus hat die Untersuchung gezeigt, dass mit Arzneimittelprüfungen Wirkungen homöopathischer Hochpotenzen nachweisbar sind.“ (Aktueller Stand der Forschung Carstens-Stiftung)

3. Kampagne 10:23 hat mit Homöopathie nichts zu tun

Die Homöopathie basiert auf dem Ähnlichkeitsprinzip. Auch das lässt die „Aktion 10:23“ außer Acht. Würden die Aktionisten ihre individuellen Beschwerden einem homöopathischen Arzt schildern, könnte dieser ein heilendes Homöopathikum für den Einzelnen finden. „Homöopathen behaupten, dass Hochpotenzen einen substanzspezifischen Effekt hervorbringen; sie behaupten nicht, dass es sich dabei um einen pharmakologischen Effekt handelt“, unterscheidet Curt Kösters: „Das Ziel einer homöopathischen Arzneimittelgabe ist die Stimulierung von Reaktionen des Organismus. Diese Reaktionen lassen sich von pharmakologischen Wirkungen deutlich unterscheiden und sind stark individuell geprägt.“ Die einmalige Einnahme eines Homöopathikums, das in keinem Bezug zu einem Krankheitsbild steht, ist gar keine Homöopathie, weder eine Behandlung noch eine Arzneimittelprüfung.

Die Kampagne 10:23 hat, von der Einnahme homöopathischer Arzneimittel einmal abgesehen, nichts mit Homöopathie zu tun. Die Aktion ist so wenig aussagekräftig wie die willkürliche Einnahme von Vitamin-B bei starkem Vitamin-D-Mangel. Auch hier wäre die Mittelwahl falsch und auch hier würde sich innerhalb von rund 30 Minuten vor dem Brandenburger Tor in Berlin kein Effekt zeigen.

4. Falsche Darstellung zum Stand der Forschung

Auf der GWUP-Homepage heißt es: „Michael Marshall, Koordinator der internationalen Kampagne sagt: „Trotz ihrer zweihundertjährigen Geschichte ist es nicht gelungen, die Wirksamkeit der Homöopathie zu belegen. Sie leistet nicht, was Homöopathen versprechen.“ Diese Aussage gibt den Stand der Wirksamkeits-Forschung nicht korrekt wieder. Entgegen den Aussagen der Veranstalter der Aktion 10:23 ist die Studienlage zur spezifischen Wirksamkeit der homöopathischen Arzneimittel uneinheitlich. Eine ausführliche Bestandsaufnahme bietet die Carstens-Stiftung in einer Übersichtsarbeit an.

Hochwertige randomisierte Studien zeigten eine Überlegenheit gegenüber Placebo bei folgenden Indikationen: Heuschnupfen, lebensbedrohlichem Durchfall bei Kindern, Weichteilrheuma, Darmlähmung nach Operation und Atemwegsinfektionen. Die moderne Versorgungsforschung zeigt wiederum, dass sich besonders Patienten mit langjährigen chronischen Krankheiten homöopathisch behandlen lassen. Eine Langzeitstudie über 8 Jahre mit 3.981 Patienten dokumentierte die Reduktion klinischer Symptome im Mittel um fast die Hälfte.

5. Etikettenschwindel des Vereins GWUP e.V.

Auf der Homepage der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) e. V. finden sich die Worte: „Deutsche und österreichische Verbraucherschützer werden im Februar eine Massen-„Überdosis“ homöopathischer Mittel einnehmen.“ Fakt ist, dass es sich beim Verein GWUP e.V. weder um eine nach wissenschaftlichen Kriterien arbeitende Organisation noch um eine Verbraucherschutz-Vereinigung handelt. Vereinsfunktionäre um den langjährigen Vorsitzenden Amardeo Sarma nutzen das Etikett „Wissenschaft“ und „Verbraucherschutz“, um sich gegenüber Medien und Journalisten Glaubwürdigkeit und Legitimation zu verschaffen. Über diesen Mechanismus informiert auch die Webseite www.skeptizismus.de mit Hintergrundinformationen über die „Skeptiker“-Bewegung. Hier finden wir den folgenden Warnhinweis:

„Um glaubwürdiger zu wirken, präsentieren sich „Skeptiker“-Organisationen im Zuge ihrer öffentlichen Selbstdarstellung nach Außen hin oft als „Vertreter der Wissenschaft“, „neutrale Untersucher“ oder gar als „unvoreingenommen“. Immer wieder fallen z. B. Journalisten auf diese Fassade herein, hinter der bei genauerem Hinsehen wenig steckt. Die über Presseerklärungen bekannt gemachten vermeintlichen „wissenschaftlichen Untersuchungen“ der Gruppen entpuppen sich in aller Regel nur als inszenierte PR-Maßnahmen zur Selbstvermarktung, um auf sich aufmerksam zu machen. Bei den größeren Organisationen wie z. B. CSICOP oder der GWUP stecken dahinter auch kommerzielle Interessen, um deren Zentren unterhalten zu können, was nur durch den Verkauf diverser „Produkte“ (populär gehaltene Zeitschriften, Bücher, Mitgliedschaften, T-Shirts, Kaffeetassen u.a.m.) möglich ist und einen gewissen Bekanntheitsgrad voraussetzt. Bereits eine Bezeichnung wie „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ – so der ausführliche Name der deutschen „Skeptiker“-Gruppe GWUP – muss in diesem Zusammenhang als Etikettenschwindel gewertet werden, was vielen GWUP-Mitgliedern auch bewusst ist.“

Der Verein GWUP e.V., der die „Kampagne 10:23“ momentan in Deutschland und Österreich durchführt, ist weder eine wissenschaftliche noch eine dem Verbraucherschutz dienende Organisation. Es handelt sich stattdessen um eine ideologische Gruppierung. „Esoteriker“ sind von Mystik fasziniert. „Skeptiker“ bekämpfen Mystik voller Abscheu, ähneln jedoch einer Karrikatur ihres Feindbildes – nur mit umgekehrten Vorzeichen.

 

Eine kleine Ergänzung zum Schluss:

Fakten zur Homöopathie in Deutschland:

Die Anzahl von Ärzten mit homöopathischer Zusatzausbildung hat sich in den letzten 15 Jahren (von 3.000 auf etwa 6.000) verdoppelt. Rund zwei Drittel (100 von 158) der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland übernehmen die Behandlungskosten für ärztliche Homöopathie. Über die Hälfte der Bevölkerung (57 Prozent) nutzen bereits homöopathische Arzneimittel, 25 Prozent geben an „überzeugte Verwender“ zu sein; zwei Prozent halten homöopathische Arzneien für unwirksam. (Allensbach-Umftrage 2009). Weitere Informationen unter www.informationen-zur-homoeopathie.de

Links zum Thema:

Stellungnahme der Carstens-Stiftung: Viel Lärm um Nichts? Die 10:23 Aktion gegen Homöopathie

derStandard.at: Interview mit Prof. Michael Frass

Blog Everyday Feng Shui: Aktion Homöopathische Überdosis: Die GWUP dreht durch

Beitragsbild: ©Pixabay