Vom 18. bis 20. Mai fand in Berlin der sechste Weltkongress der „Skeptiker“ statt, der von der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ (GWUP) organisiert wurde. Die GWUP ist laut einer Studie des Heidelberger Soziologen Dr. Edgar Wunder (Mitbegründer der GWUP und Ex-Chefredakteur des Vereinsblatts „SKEPTIKER“) eine ideologisch motivierte „Gesinnungsgemeinschaft“ und ein „Kampfverband“ gegen alles, was der etablierten Wissenschaft aus Sicht selbst ernannter „Skeptiker“ zuwiderlaufe. Wunder verließ den Verein. Mit wissenschaftlicher Aufklärung habe die GWUP nichts zu tun, vielmehr betreibe sie „Meinungsmache“. Etwa 300 Teilnehmer zählte der Weltkongress der Skeptiker.
Zweifel an der Neutralität
Zu den Rednern gehörte Jürgen Windeler, Direktor des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Das IQWiG gilt als unabhängiges wissenschaftliches Institut zur Untersuchung von Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen an Patienten. Das Institut informiert über mögliche Vor- und Nachteile verschiedener Diagnose- und Therapieverfahren. In seinem Vortrag „Kein Unterschied in den Methoden – Auswertung des Nutzens von konventioneller und komplementärer Medizin“ fand Windeler deutliche Worte, die zeigen, welche Haltung der oberste Medizinprüfer in Deutschland gegenüber komplementärmedizinischen Heilmethoden einnimmt. Die Mitgliedschaft von Windeler bei der GWUP, die ihn auf ihrer Website als „prominenten Skeptiker“ in Szene setzt, steht allerdings im Widerspruch zum Anspruch des IQWiG.
Jürgen Windeler: „Die Evidenzbasierte Medizin stellt die Frage, ob es einen Nutzen gibt – nicht wie dieser zustande kommt.“
„Ich will nichts mit dem Etikett komplementäre oder alternative Medizin zu tun haben“, stimmte Windeler zu Beginn seines Vortrags das Plenum im Saal des Berlin Crowne Plaza ein und erntete Zuspruch. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) fordert gemeinsam mit anderen Komplementärmedizinern regelmäßig eine Vielfalt in der medizinischen Forschungsmethodik und Evaluation. Dazu sagte Windeler: „Es stellt sich dabei die Frage, ob es medizinische Gründe für eine solche Differenzierung gibt. Aus meiner Sicht gibt es diese nicht.“ Darüber hinaus äußerte sich der wichtigste Medizin-Gutachter Deutschlands zur Sonderstellung der Besonderen Therapierichtungen durch das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V). Der „Artenschutz“ der komplementären Medizin in der Gesetzgebung sei „wissenschaftlich und praktisch total unbegründet“, so Windeler. Die Evidenzbasierte Medizin (EBM) untersuche den Nutzen einer Behandlungsmethode für die Patienten, erklärte Windeler. Auf durchaus existierende positive Ergebnisse für komplementärmedizinische Heilmethoden aus der Versorgungsforschung – per Definition die Erforschung des Erfolgs von Heilmethoden unter Alltags- und Praxisbedingungen – ging der IQWiG-Chef in diesem Kontext allerdings mit keinem Wort ein. Dafür nahm er zu dem Argument der homöopathischen Ärzte Stellung, die Heilmethode rege die Selbstheilungskräfte des Patienten an: „Das Wichtigste ist, dass diese Frage der Selbstheilungskräfte für die Medizin nicht weiter relevant ist. Denn die Evidenzbasierte Medizin stellt die Frage, ob es einen Nutzen gibt – nicht wie dieser zustande kommt.“ Neben diesen Ausführungen berichtete Windeler den angereisten „Skeptikern“ auch von seiner privaten Meinung, vor dessen Hintergrund sich seine „sachlichen Ausführungen“ durchaus erklären. „Ich persönlich akzeptiere die Begriffe komplementäre und alternative Medizin in keiner Weise“, so Windeler. Den Schlusspunkt des Vortrags setzte er mit einem Hinweis auf ein homöopathisches Arzneimittel in einer Potenz, die nach der Avogadro-Zahl kein Molekül eines Wirkstoffes mehr enthalten kann, was bei den Zuhörern für allgemeine Erheiterung sorgte. Das kollektive Lachen mischte sich mit engagiertem Applaus.
Der DZVhÄ hat bei Jürgen Windeler nachgehakt – insbesondere zur Bedeutung der Versorgungsforschung
„Der Begriff Versorgungsforschung besagt, dass hier Forschung in der Versorgung stattfinden soll. Diese Zielsetzung ist sehr wichtig, denn wir wissen über die Praxis der Versorgung nur wenig. Dort, wo der Nutzen von Interventionen von Interesse ist, sind die für eine solche Fragestellung geeigneten Forschungsmethoden – also vergleichende prospektive Studien – durchzuführen“, erklärte Windeler. Diese Haltung begrüßt der DZVhÄ. Denn genau solche Studien – wenn auch aufgrund mangelnder Forschungsförderung in überschaubarer Zahl – liegen in der Versorgungsforschung zur Homöopathie bereits vor. Beispielsweise von Professorin Claudia Witt von der Charité Berlin: „Homoeopathic versus conventional treatment of children with eczema: A comparative cohort study“. Fazit der Studie: Es gab keine relevanten Unterschiede im Behandlungserfolg zwischen den Gruppen von Kindern, die entweder konventionell oder homöopathisch aufgrund ihrer Neurodermitis behandelt wurden.
Akzeptiert Windeler also im logischen Umkehrschluss die ärztliche Homöopathie bei Neurodermitis als wissenschaftlich abgesicherte und gleichwertige Behandlung zur konventionellen Medizin? Mit der Sachlage konfrontiert, erklärte Windeler, dass ein Aspekt sehr wichtig sei: Der Umstand, dass in einer solchen Studie kein Unterschied im Behandlungserfolg zwischen konventioneller und homöopathischer Behandlung gefunden wurde, könne sehr vielfältige Ursachen haben und „nicht nur die Interpretation, dass A genauso gut ist wie B“, so der IQWiG-Chef. Darf also nicht sein, was nicht sein kann – ganz im Sinne der „Skeptiker“? Die Frage, ob die Homöopathie bei Neurodermitis aufgrund der Witt-Studie eine wissenschaftlich abgesicherte, wirksame Behandlungsmethode sei, impliziere, dass es hier „positive Effekte“ gebe, so Windeler. „Das ist aus der Studie aber durchaus nicht klar.“ Darüber hinaus bekräftigte er noch einmal seine grundsätzliche Auffassung zum SGB V und einer Methodenpluralität in der Medizinforschung: „Die Sonderstellung der ‚besonderen Therapierichtungen‘ ist wissenschaftlich oder medizinisch nicht gerechtfertigt“, und „Pluralität im Sinne gleichwertiger anderer Methoden braucht es nicht, gibt es nicht und ist auch nicht zu erwarten.“
Kongressvorträge voller neopositivistischer Vorurteile
Windelers Ausführungen reihen sich nahtlos in die Behauptungen anderer Referenten und das Weltbild des sechsten Weltkongresses der „Skeptiker“ ein. So sagte beispielsweise Dittmar Graf, Professor für Biologie an der Universität Dortmund: „Die Evolution ist keine wissenschaftliche Theorie, sie ist ein Fakt. Sie ist die Wahrheit.“ Und die amerikanische Evolutionsexpertin Eugenie C. Scott beklagte, dass sich Kritiker der „Skeptiker“ argumentativ auf „ihre Kultur, Ideologie und die Presse- und Meinungsfreiheit“ stützen. Formulierungen dieser Art weisen auf erhebliche neopositivistische Vorurteile hin, die (in den Worten von Prof. Harald Walach ausgdrückt) „dazu führen, dass die Autoren Wissenschaft als ein quasidogmatisches System verstehen, in dem es unerschütterliche Regeln, unerschütterliche Grundsätze und unerschütterliche Gegebenheiten gibt. Dies ist gegen die moderne und neuere Ansicht von der Wissenschaft als einem hochkomplexen sozialen Prozess, in dem es einen Austausch zwischen materieller Umwelt und in ihr agierender Wissenschaftler inmitten eines Interessengefüges und inmitten eines Zugangs zu Ressourcen und Kommunikationsmitteln gibt. Die beste Referenz hierfür ist Bruno Latour, „ Die Hoffnung der Pandora“, Frankfurt: Suhrkamp 2000“. Siehe hierzu auch: „Wissenschaft als Entdeckungsreise – mein Begriff von Wissenschaft“ von Prof. Harald Walach.
Links zum Thema:
Übersicht zum Stand der Forschung: Klinische Forschung zur Homöopathie, www.informationen-zur-homoeopathie.de
Jürgen Windeler: die hellen und dunklen Seiten des neuen IQWiG-Chefs
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